Etwa 1500 Menschen nahmen am Samstag an einer kurdischen Demo teil. Provokationen von außen kamen dieses Mal nur von Splittergruppen, sagt die Polizei.

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Frage: Was ist das für ein Konflikt, der da auf den Straßen ausgetragen wird?

Antwort: Seit Mittwoch wurden im zehnten Wiener Bezirk mehrere kurdische Kundgebungen abgehalten. Dabei kam es zu Angriffen aus dem türkisch-nationalistischen Milieu, auch die Grauen Wölfe marschierten auf. Ebenfalls angegriffen wurde das Ernst-Kirchweger-Haus (siehe Wissen). Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes warnt davor, das als Nationalitätenkonflikt zu sehen. Es gebe einen "klaren Aggressor", nämlich "türkische Nationalisten und Faschisten, die eine ihnen missliebige Kundgebung angriffen".

Livestream ab 9 Uhr: Innenminister Nehammer, Integrationsministerin Raab (beide ÖVP) und Landespolizeivizepräsident Eigner sprechen in einer Pressekonferenz zu den Demo-Ereignissen der letzten Tage.

Frage: Wer sind die Grauen Wölfe?

Antwort: Die sogenannten Grauen Wölfe sind Anhänger der rechtsextremen Partei MHP, die als Juniorpartner in der türkischen Regierung sitzt. In einem Werk des Extremismusexperten Thomas Rammerstorfer heißt es dazu: "Straff organisierte Parteikader einerseits, subkulturell inspirierte Jugendgangs mit Rebellenhabitus andererseits finden sich unter dem gemeinsamen ideologischen Dach türkischer Großmachtsfantasien." Die Vereine der Grauen Wölfe werden zum Teil mit öffentlichen Mitteln gefördert. Schon vor zwei Jahren warnte Rammerstorfer, dass österreichische Politiker türkischen rechtsextremen Vereinen, deren politischen Hintergrund sie nicht kennen würden, auf den Leim gingen. Der Wolfsgruß, ein Handzeichen der Grauen Wölfe, ist in Österreich seit 2019 verboten.

Szenen von der Demo am Freitag.
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Frage: Und worum geht es der anderen Seite?

Antwort: Auf der internationalen politischen Ebene ist der Traum der Kurden ein eigener Staat und Autonomie in den jeweiligen Siedlungsgebieten in der Türkei, im Irak, im Iran und in Syrien. Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und die Türkei tragen seit den 1980er-Jahren einen offenen, auch militärischen Konflikt aus, in dem es in mehreren Ländern immer wieder zu Gewalttaten kommt. Von einer "kurdischen Einheit" kann man dabei aber nicht sprechen, auch die Kurden sind ideologisch gespalten. Im Gegensatz zu den Grauen Wölfen wird die PKK in Österreich als Terrororganisation eingestuft.

Frage: Warum eskaliert das nun so?

Antwort: Laut der Grünen-Politikerin Aygül Berîvan Aslan ist das direktem Einfluss aus der Türkei zuzuschreiben. Der Ton in türkischen Medien werde momentan rauer, die Stimmung im Ausland übernommen: "Wenn Erdoğan von internationalen Medien kritisiert wird, dann versucht er über seine eigenen Organisationen oder Moscheen seine Macht wieder sichtbar zu machen in Europa."

Frage: Ist das ein Wiener Problem?

Antwort: Nein. Die Grauen Wölfe sind auch in Deutschland und in der Schweiz aktiv. Erst vor wenigen Tagen kam es im deutschen Ludwigsburg zu einem Übergriff auf alevitische Gräber, laut Aslan kam auch dieser von türkischen Faschisten. "Das sind Tendenzen, die gezielt gesteuert sind", sagt sie.

Frage: Müssen wir uns auf regelmäßige Straßenschlachten einstellen?

Antwort: Nein. Erstens griff die Polizei recht rasch ein und verhängte, als klar wurde, dass Eskalationen vorhersehbar waren, weiträumige Platzverbote. Zweitens, so heißt es von der Polizei, seien bis zumindest Juli keine derartigen Veranstaltungen angemeldet. Auch die vorerst letzte Kundgebung am Samstag verlief ruhig. Laut Polizei gab es "so gut wie keine" Gegendemonstranten. Auch zu Festnahmen und Verletzungen kam es unmittelbar auf der Demo nicht. Allerdings wurde laut Polizei am Samstagabend in Favoriten ein kurdischer Journalist angegriffen, er wurde ins Krankenhaus gebracht, und mehrere Personen wurden auf freiem Fuß angezeigt. (Gabriele Scherndl, 29.6.2020)