Die schriftliche Matura ist nun ein paar Wochen her, und ich kann mich seither stolz Matura-Absolventin nennen. Das Gefühl des Erfolgs war noch nie so spürbar, da ich zwölf Jahre Schulzeit hinter mir lasse und nur noch die Maturafeier ansteht. Zeugnis erhalten, Hände schütteln (oder auch nicht), Anstoßen, und dann ist die Schule endgültig vorbei. Es war eine lange und prägende Zeit, aber am Ende – Corona-bedingt – zog es sich doch, und jetzt liegt mein Empfinden zwischen Erleichterung und Ernüchterung.

Eine Frage der Fairness

Die Matura sichert ihren Absolventen, wie jede Abschlussprüfung, Qualifikationen und erworbene Kompetenzen zu. Das gilt bei der Diplomprüfung genauso wie beim Seepferdchen oder dem Fahrradführerschein. Die österreichische Matura hat bereits einige Entwicklungsstadien hinter sich, bis sie bei der seit 2015 bestehenden Zentralmatura angekommen ist. Diese soll Fairness sichern, weil alle Maturanten österreichweit ein und dieselbe Prüfung schreiben. Aber genau in diesem zentralisierten System sehe ich auch einen großen Nachteil.

Im Gymnasium besteht ein Unterschied zwischen dem naturwissenschaftlichen Zweig und dem sprachlichen Zweig. So unterscheidet sich gerade im Fach Mathematik das Niveau erheblich, weil Schüler des sprachlichen Zweigs über drei Jahre hinweg eine Stunde weniger Mathematik haben als Schüler des naturwissenschaftlichen Zweigs. Das hört sich nicht dramatisch an, es bedeutet aber ganze 25 Prozent weniger Unterricht in drei Schuljahren. Dennoch schreiben alle dieselbe Matura, wodurch Schüler, die weniger Unterricht hatten, einen Nachteil haben. Wo bleibt da die Chancengleichheit? Ich halte eine Zentralmatura nur für gerecht, wenn sie an die einzelnen Schultypen und Zweige angepasst ist.

Matura unter speziellen Voraussetzungen.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Eine Abschlussprüfung am Ende der Schulzeit ist sinnvoll, auch dass die vorwissenschaftliche Arbeit miteinbezogen wird, halte ich für fair. Die Miteinbeziehung des Abschlusszeugnisses der 8. Klasse, wie es dieses Jahr stattfindet, ist eine gute Möglichkeit, das bisherige System zu entschärfen. Mit einer 50:50- oder 60:40-Regelung werden keine Noten geschenkt, sondern nur der Druck der singulären Matura-Prüfungen auf die Schüler minimiert. Wird die endgültige Note aus Maturaprüfungen, vorwissenschaftlicher Arbeit und Noten des letzten Jahres zusammengesetzt, ergibt das eine deutlich repräsentativere Note als nur die Maturaprüfung allein.

Reife – Indikator für Studienerfolg?

Für tatsächlich fragwürdig halte ich die Rolle der Zentralmatura als "Reifeprüfung". Ich kann nicht sagen, dass ich mich reifer als noch vor einem Monat fühle, mit meinem Abschluss allein kann ich nämlich nicht viel anfangen. Schülern wird immer suggeriert, dass die Matura der Schlüssel zum Traumstudium an der Hochschule ist, aber in der Praxis ist das nur selten so. Das Bestehen der Matura und die darin erzielten Noten sollen Auskunft über die Kompetenzen ihrer Absolventen geben, trotzdem wird in vielen Studiengängen die Zulassung nur mit dem zusätzlichen Bestehen eines Aufnahmetests ermöglicht. Also spielen die Maturanoten sowieso keine Rolle?

Die Aufnahmetests sollen in erster Linie die "Studierfähigkeit" feststellen, mit dem Ziel, die Studienabbrecherquoten und die Studiendauer zu verringern. Im Gegensatz zu Deutschland wird hier die Matura nur als Voraussetzung, nicht aber als zusätzliches Auswahlkriterium herangezogen. Das dortige Verfahren stützt sich auf die Erkenntnis, dass Schulnoten, vor allem in den Kernfächern, sehr gute Indikatoren für den Studienerfolg sind.

Die Zentralmatura als weiteres Auswahlkriterium wäre ein konsequenter Schritt in diese Richtung. Wieso wird also eine sogenannte Reifeprüfung erwartet, wenn die Studiengänge sowieso eigene Aufnahmekriterien haben, um sich nur die Besten der Besten herauszusuchen? Ich persönlich hielte es für wesentlich gerechter, wenn die Leistung der Zentralmatura, die nun wirklich zum Vergleichen einlädt, mindestens zu 30 Prozent Einfluss erhalten würde. Sowohl eine lernintensive Matura als auch teils sehr schwere Aufnahmetests vorauszusetzen halte ich für ineffektiv.

Enttäuschung und Stolz

Die Verlierer der Schulschließung sind die Schüler. Die, denen Bildung entzogen wird und die auf sich alleingestellt sind. Für drei Wochen keine Schule ist noch okay, aber für zweieinhalb Monate keine Schule in der Abschlussklasse geht einfach nicht.

Die Matura ist für viele von uns Absolventen ein persönlicher Erfolg, in dem die Noten den Lernaufwand widerspiegeln. Ich selbst habe seit Anfang März beinahe täglich für Mathematik gelernt – saß bei der Matura aber teils ratlos da. Ich war immer eine gute Schülerin, trotzdem empfand ich die Prüfungen als schwierig und verließ den Prüfungsraum mit einem unguten Gefühl.

Die Enttäuschung über die mangelnde betreute Vorbereitung und die dafür recht schwierige Matura teilen meine Mitschüler, die, so wie ich, viel Zeit und Mühe in das Lernen investiert haben. Die Schüler des Maturajahrgangs haben knapp zweieinhalb Monate zu Hause in Quarantäne verbracht – wie kann man auf diesen Umstand so wenig Rücksicht nehmen und die Matura nicht minimal anpassen? Eine unter normalen Umständen schon schwierige Prüfung dann noch ohne Unterricht zuvor zu schreiben ist ein bisschen viel verlangt.

Dass knapp 50 Prozent aller AHS-Schüler und 40 Prozent der BHS-Schüler ein "Genügend" oder "Nicht genügend" erhalten haben, bestätigt meinen Eindruck. Die Schuld auf die Schüler zu schieben nach dem Motto "Man ruhe sich auf der 50:50-Regelung aus", ist schlichtweg falsch. In manchen wenigen Fällen mag dies zutreffen, doch der Großteil der Maturanten strebt trotzdem das bestmögliche Ergebnis an. Wenn die Noten schon nicht für das Studium relevant sind, wieso muss eine Prüfung dann so gestaltet werden, dass Schüler die persönlichen Ansprüche nicht erreichen können? Ich bezweifle, dass unsere Lehrer dafür verantwortlich sind. Ist nicht eher der Erwartungshorizont des Bildungsministeriums zu abgehoben?

Unser Jahrgang wird immer der "Corona-Jahrgang" bleiben, doch sind wir wirklich die mit der geschenkten Matura? Die, die ihren Abschluss ohne Bemühung erhalten haben, weil 30 von knapp 40.000 Schülern einen leeren Zettel abgegeben haben?

Wir sind die erste Generation an Maturanten, die ihren Abschluss im Lockdown geschrieben hat, die kaum betreute Vorbereitung hatte und trotzdem erfolgreich maturiert hat. Beweist nicht gerade das wahre Reife? Wir haben etwas für das Leben gelernt, unseren Abschluss hart erarbeitet, und darauf können wir stolz sein! (Franziska Irmler, 1.7.2020)