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Manchmal hast du als Autor einfach Pech: Da tüftelst du ein Katastrophenszenario von der verheerendsten Hitzewelle und Dürre aus, die Europa jemals heimgesucht haben. Dein Verlag teilt dir mit Ende Juni ein Veröffentlichungsdatum zu, das dafür sorgen müsste, dass dein Buch in einer interessefördernden Wetterlage erscheint. Und dann war es der kühlste und regnerischste Frühling seit langem, und die Welt ist immer noch mit einer vollkommen anders gestrickten Katastrophe beschäftigt, die niemand vorhersagen konnte.

Aber man kann dem deutschen Journalisten Wolf Harlander zumindest nicht vorwerfen, dass er in seinem Thriller "42 Grad" (meines Wissens sein erster Roman) nicht alles in die Schlacht werfen würde: Erdbeben. Waldbrände. Kraftwerksausfälle. Zusammenbruch der Wasserversorgung. Evakuierungen. Krankheiten. Flüchtlingsströme. Unruhen. Notstand. Bombenanschläge. Und sogar der Rhein trocknet aus.

Das Alpha-Paar ...

Aber beginnen wir von vorne: Wir schreiben den Juli eines Jahres, in dem es seit März nicht mehr geregnet hat. Damit nicht genug, sorgt ein Erdbeben in Italien dafür, dass sich Grundwasser führende Gesteinsschichten verschieben und den Wassermangel verstärken. (Gleich in ganz Europa? So ganz ausgegoren scheint mir dieser spezielle Punkt nicht, aber sei's drum.) Die einzige, die erkennt, dass sich hier eine Katastrophe anbahnt, ist die junge schwedische Datenanalystin Elsa Forsberg. Sie arbeitet für die angesehene European Environment Agency, stößt mit ihren Warnungen aber in Brüssel auf taube Ohren. Zudem wird sie von ihrer Vergangenheit eingeholt, denn Elsa war mal in einer ökologischen Untergrundgruppe aktiv – ein Umstand, den sie unbedingt geheimhalten will.

Eine weibliche Geheimnisaufklärerin bleibt in einem Wissenschaftsthriller selten allein, wie Rundschau-Leser wissen – und so wird parallel zu Elsa der deutsche Hydrologe Julius Denner in derselben Angelegenheit aktiv. Gleich bei seiner Vorstellung wird dezent eingeflochten, dass er auch als Tauchlehrer arbeitet, was uns darauf einstimmen soll, dass Julius kein akademischer Sesselpupser ist, sondern notfalls auch mehr auf dem Kasten hat. Seien wir also nicht überrascht, wenn er sich beizeiten als Geheimagent versucht. Die Polizei wird ihn als "ein wenig überengagiert" einstufen, aber Helden wie Julius und Elsa werden bald dringend gebraucht.

... und der Rest der Riege

Eine wichtige Rolle spielt auch der Schweizer Ingenieur Noah Luethy, der seine Frau und Tochter allein in den Urlaub schicken muss (beim Schreiben fällt mir gerade auf, dass ich gar nicht weiß, was aus den beiden am Ende geworden ist), während er zu einem Notfall nach Frankreich gerufen wird. Und dann gleich zum nächsten. Ein städtisches Wasserversorgungssystem nach dem anderen meldet seltsame Probleme ... und die sind nicht einfach mit simplem Wassermangel zu erklären.

Kerstin Lange, eine geschiedene Mutter zweier Kinder, hat die unangenehme Aufgabe, uns die praktischen Folgen der Wasserknappheit vor Augen zu führen. Sie hat den Hof des Großvaters in Brandenburg übernommen, muss ihn aber aufgeben, als sie buchstäblich auf dem Trockenen sitzt. Sie wird zu einem der Wasserflüchtlinge werden, die sich in immer größerer Zahl auf den Weg machen. Eigentlich ein tragisches Schicksal ... aber unbeabsichtigterweise wird ihr Leidensweg auch ein bisschen zu einem Running Gag, weil Kerstin wirklich eine unglückliche Entscheidung nach der anderen trifft. Drücken wir ihr die Daumen, dass Florian Herzog, ein ehrenamtlicher Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks in Thüringen, noch zu ihrem Retter wird. Die Chancen dafür stehen gut, denn bei Harlander bekommt jeder Topf seinen Deckel. (Auch wenn das Kochwasser ausgegangen ist.)

Seltsame Umtriebe

Während die europaweite Krise sukzessive eskaliert und die Zahl der Toten steigt, mehren sich aber auch die Seltsamkeiten. Noah droht die Entlassung, weil seine Lösungsvorschläge die Probleme seiner Kunden sogar noch verschlimmern; kurz darauf versucht ihn jemand zu beseitigen. Julius wird beim Entnehmen einer Abwasserprobe im Rhein von Tauchern attackiert – und Florian sichtet mitten in einem Brandherd eine verdächtige Drohne. Schleichend stellt sich der Eindruck ein, dass die kontinentweite Katastrophe künstlich herbeigeführt oder zumindest angefacht wurde.

Merke: Nichts ist so schlimm, dass böse Menschen es nicht noch schlimmer machen könnten. Der Wandel vom Umwelt- zum Politthriller erhöht zudem die Chance, dass es am Ende eine eindeutige Verantwortung und damit eine einfache Lösung geben könnte. Den zynischen Schlusstwist fand ich übrigens gelungen ... und leider auch durchaus plausibel. Plausibler zumindest also so manches knallige Plot-Element davor.

Und jetzt das Ganze noch verfilmen

Alles in "42 Grad" ist auf die Zielvorgabe Pageturner ausgerichtet. Erzählt in kurzen, einfachen Sätzen, legt der Text dem Lesen auf der Überholspur keinerlei Hindernisse in den Weg. Nie müssen wir uns jemanden aus dem Kontext heraus erschließen, jeder Protagonist wird sofort mit Steckbrief vorgestellt. Ein bisschen hat Harlander zudem die Neigung, das Offensichtliche auszusprechen. Alles in allem nicht unbedingt kunstvoll, aber wie das mit Pageturnern eben so ist: Zumindest sind sie spannend.

Mit den Wissenschaftsthrillern eines Marc Elsberg, zu denen eine thematische Verwandtschaft besteht, kann "42 Grad" nicht mithalten. Soll aber nicht heißen, dass man nicht auch hier Wissenswertes erfahren würde. Ich war zum Beispiel überrascht von der Information, wie viel Wasser in einem ganz normalen Versorgungssystem unterwegs verloren geht. Den eingestreuten Fakten steht allerdings auch die eine oder andere Schlamperei gegenüber. Einen Klimaexperten, der wie sein Kollege im Roman davon spricht, wie der Verbrauch von Kohlendioxid die Erderwärmung vorantreibt, würden sie wohl nicht mehr so schnell in sein Institut zurücklassen.

"Climate Fiction" in Buchform gibt es mittlerweile wie Sand am Meer, seine engsten Verwandten hat "42 Grad" aber in einem anderen Medium, dem Fernsehen. Ich war wirklich null überrascht, als Harlander im beigefügten Interview erklärt hat, dass die Rechte für eine Verfilmung bereits verkauft wurden. Mittlerweile gibt es ja bereits eine kleine Tradition deutscher Öko-Katastrophenfilme von stets recht ähnlicher Machart, beginnend mit "Die Hitzewelle – Keiner kann entkommen" über "Ratten – Sie werden dich kriegen!" bis "Tornado – Der Zorn des Himmels". Seien wir gespannt, wie sich "42 Grad – [knalliger Untertitel insert here]" da einfügen wird.