Deutschland hat mit der EU-Ratspräsidentschaft einiges vor.

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Es wird ein nüchterner Start – erst recht gemessen an den großen Aufgaben, die auf die deutsche EU-Präsidentschaft zukommen. Nichts Festliches findet in Berlin zum Auftakt statt, kein Konzert, kein Feuerwerk, kein Festakt, wie das nationale Regierungen gerne machen, wenn sie für ein halbes Jahr den Vorsitz in den EU-Ministerräten und den sonstigen vielen kleinen Gremien in Brüssel übernehmen.

Corona hat alle Pläne zunichtegemacht, und die Corona-Bekämpfung ist es auch, die den Deutschen den Fahrplan diktiert: "Die Pandemie hat offengelegt, wie fragil das europäische Projekt noch ist", erklärte Kanzlerin Angela Merkel vor kurzem im Bundestag, als sie einen Ausblick auf die deutsche Präsidentschaft gab.

Deren Leitmotiv umschrieb sie so: "Noch nie waren Solidarität und Zusammenhalt in Europa so wichtig wie heute." Ein Vorhaben, das ihr wichtigster und politisch gewichtigster Partner in der Gemeinschaft voll und ganz teilt: Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron.

Rückendeckung für von der Leyen

Er hat mit ihr vor einem Monat einen spektakulären Plan zum "Wiederaufbau" der EU nach der Corona-Krise präsentiert, der in den Wochen davor im Wesentlichen von den EU-Diensten der Kommission in Brüssel unter der Führung von Präsidentin Ursula von der Leyen erstellt worden war: Mindestens 500 Milliarden Euro sollen zusätzlich zu dem auf sieben Jahre angelegten regulären EU-Budgetrahmen von rund 1.100 Milliarden Euro bis Ende 2027 aufgestellt werden, so hatten es Paris und Berlin bestimmt.

Merkel und Macron wollten von der Leyen damit mit voller Power Rückendeckung geben. Denn vor allem die "sparsamen vier" EU-Nettozahlerländer Österreich, Schweden, die Niederlande und Dänemark, aber auch andere, wehren sich dagegen, dass das viele Geld über EU-Programme als nicht rückzahlbare Zuschüsse verteilt werden soll: an die überschuldeten Südländer wie Italien und Spanien, aber auch an die um ihre bisherigen EU-Subventionen bangenden Osteuropäer.

Die Sparsamen Vier als Gegner

"Die Sparsamen" wollen nur Kredite vergeben wissen. Sie beklagen, dass dieser neue Wiederaufbaufonds mit EU-Schulden finanziert werden soll, die Kommission will Anleihen begeben und das Geld bis zum Jahr 2058 durch Einnahmen aus künftigen EU-Steuern tilgen. Seit Wochen wird darüber wild debattiert, bei einem EU-Gipfel vor zehn Tagen kam man zu keinem Ergebnis.

Dieser Wiederaufbau, den von der Leyen "Nächste Generation EU" taufen ließ, obwohl er doch vor allem die tiefe Wirtschaftskrise überwinden, aber auch Ökologisierung und Digitalisierung der EU-Politiken anschieben soll, ist so zum zentralen Projekt der Union geworden. Merkel und Macron, die deutsch-französische Achse, die das gemeinsame Europa immer getragen hat, wenn es brenzlig wurde, sollen den Weg ebnen.

Watsche bei Wahl für Macron

Kein Zufall, dass der Franzose am Montag zur Kanzlerin nach Deutschland reiste. Auf Schloss Meseberg wollten sie Pläne schmieden, wie man mit den Partnern doch in vielen Bereichen zu Kompromissen kommen könnte. Für beide ist das wichtig. Es steht enorm viel Unerledigtes auf dem Programm, das seit dem Übergang der EU-Kommission von Jean-Claude Juncker an von der Leyen seit Herbst 2019 der Aufarbeitung harrt (siehe unten). Macron brachte eine saftige "Ohrfeige" bei den Regionalwahlen mit nach Meseberg. Nicht nur für Europa steht viel auf dem Spiel, auch für Merkel selbst. Sie will dieser zweiten und letzten deutschen Präsidentschaft unter ihrer Führung einen positiven Stempel aufdrücken. "Ein Scheitern ist keine Option", heißt es in Berlin.

Dafür muss sie mit einer Frau zusammenarbeiten, die lange in ihrem Schatten stand: "Ursula". Man ist gespannt, wie das funktioniert. Beide haben einen ausgeprägten Willen, sind Alphafrauen und nicht immer einer Meinung. Nun sitzen sie aber nicht mehr gemeinsam am Berliner Kabinettstisch, sondern müssen das Wohl Europas im Auge haben.

Zur Überraschung vieler hat Merkel, die bisher immer gegen Eurobonds war, eine Kehrtwende hingelegt, indem sie sich nun für EU-Anleihen ausspricht, die zwar nicht Altschulden der Staaten, aber in Zukunftsprojekte gehen sollen.

Die Corona-Krise habe alles verändert, sagte Merkel im "SZ"-Interview, Deutschland müsse mit dafür sorgen, dass der Binnenmarkt stark bleibe, dass "die Europäische Union zusammenwächst und nicht auseinanderfällt". Die Zeit sei anders als bei der letzten großen Krise 2008: "Da ist es geboten, dass Deutschland nicht nur an sich selbst denkt, sondern zu einem außergewöhnlichen Akt der Solidarität bereit ist." (Birgit Baumann aus Berlin, Thomas Mayer aus Brüssel, 30.6.2020)