In den Wahllokalen haben die Franzosen am Sonntag eindeutig einen anderen Kurs gewählt.

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In Bordeaux, der Stadt der Winzer und Weinhändler, hatte die Rechte 73 Jahre lang regiert. Jetzt wird dort ein landesweit Unbekannter Bürgermeister: Pierre Hurmic von der grünen Partei Europe Ecologie-les Verts (EELV) zieht überraschend ins Rathaus ein. In Lyon heißt der Neue Grégory Doucet. In Straßburg regiert nun Jeanne Barseghian und in Poitiers Léonore Mondcond’huy.

Andere größere Städte wie Tours und Poitiers gingen ebenfalls an die Grünen. In Marseille machte zudem die Ärztin Michèle Rubirola das Rennen, obwohl – oder vielleicht weil – sie während der Corona-Krise lieber in den verarmten Nordquartieren des Mittelmeerhafens Patienten half und die Politik einfach den Politikern überließ.

All diese Namen zeugen von der grünen Welle, die in Frankreich zumindest die urbane Wählerschaft erfasst hat. Als Folge dieser schaffen die EELV-Vertreter erstmals auf breiter Front den Einzug in die wichtigsten Rathäuser des Landes.

Das ist in doppelter Hinsicht erstaunlich. Anders als im deutschsprachigen Raum gelten "les verts" als politische Ideologen ohne Regierungserfahrung. Gerade aber für Bürgermeisterposten sind zuerst pragmatische Macher gefragt.

Können unter Beweis gestellt

Der bisher einzige grüne Vorsteher einer größeren Stadt, Eric Piolle in Grenoble, hatte allerdings in der vergangenen Amtszeit vorgemacht, dass er die Alpenstadt mindestens so effizient regierte wie die Gaullisten und Sozialisten vor ihm. Am Sonntag wurde der "Realo" deshalb auch wiedergewählt.

Bemerkenswert ist der Erfolg der Grünen auch, weil sie erstmals nicht mehr als Steigbügelhalter der Sozialisten oder der Kommunisten fungierten. Es war vielmehr umgekehrt: In vielen Städten mussten sich Linkspolitiker den EELV-Listen anschließen, um überhaupt noch eine Wahlchance zu haben. Selbstbewusst machte Grégory Doucet am Montag auch klar, dass er für ein grünes Programm gewählt sei. Seine linken Alliierten konnten nur nicken.

Auf nationaler Ebene stellt die Wahl laut Brice Teinturier vom Umfrageinstitut Ipsos die "Geburt einer Linksopposition gegen Emmanuel Macron" dar. Die Partei des Staatspräsidenten war hingegen vor allem mit den konservativen Republikanern gegangen. Macron scheint mehr und mehr auf die politische Mitte zu setzen. Das bekommt ihm nicht: In den meisten Städten hatten die meisten Kandidatinnen und Kandidaten seiner Partei La République en marche (LRM) keinerlei Siegeschancen.

Kein Wählermagnet mehr

Der Politologe Pascal Perrineau führt das darauf zurück, dass LRM lokal keineswegs verwurzelt sei. Macron wirke sogar für die bürgerlichen Wähler nicht mehr als Wählermagnet, sondern im Gegenteil als eine "Vogelscheuche". Den Beleg dafür lieferte Paris, wo die Sozialistin Anne Hidalgo mithilfe der Grünen problemlos im Amt bestätigt wurde: Macrons Kandidatin Agnès Buzyn erhielt klägliche 13,3 Prozent und schaffte es nicht einmal in den Stadtrat.

Als ginge ihn dieses Fiasko nichts an, versuchte Macron seine grünen Überzeugungen am Montag unter Beweis zu stellen. Gut gelaunt empfing er 150 per Los ausgewählte Bürger, die in den vergangenen Monaten Klimavorschläge erarbeitet hatten. Der Präsident gelobte, ihre Vorschläge umzusetzen und einer Volksabstimmung zu unterbreiten, falls das Parlament nicht rasch agiere. Die zwei wichtigsten Vorschläge lehnte er aber ab – die Senkung der Fahrgeschwindigkeit auf Autobahnen von 130 auf 110 km/h sowie auch eine vierprozentige Steuer auf Dividenden. Wenn Macron den Grünen wirklich das Wasser abgraben will, muss er schon etwas konkretere Maßnahmen ergreifen. (Stefan Brändle aus Paris, 29.6.2020)