Kanzlerin Angela Merkel hat in den kommenden Monaten ein straffes Pensum vor sich. Deutschland übernimmt zum zweiten Mal unter ihrer Führung die EU-Ratspräsidentschaft.

Foto: EPA/CHRISTIAN MARQUARDT

Wirklich dicke Freunde waren Angela Merkel und Edmund Stoiber ja nie. Trotzdem empfand es so mancher als eher unhöflich, was der ehemalige bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef im Dezember 2019 in einer ZDF-Talkshow von sich gab.

Ob Merkel im Europäischen Rat jetzt als "lame duck" (lahme Ente) betrachtet werde, wollte Moderatorin Maybrit Illner von ihm wissen. Seine Antwort: "Ja." Denn dort orientiere man sich nun sehr stark am französischen Präsidenten Emmanuel Macron.

Stoiber sprach damals allerdings aus, was viele dachten. Merkel hatte seit ihrem Rückzug als CDU-Chefin (Dezember 2018) und ihrer Ankündigung, 2021 nicht mehr zur Bundestagswahl antreten zu wollen, quasi das Etikett "Auslaufmodell" an sich haften.

AKK kündigte

Zur Erinnerung: Zu diesem Zeitpunkt war noch Annegret Kramp-Karrenbauer CDU-Chefin, keine besonders erfolgreiche, aber auch keine im status abeundi. Merkel konnte im Dezember 2019 noch die Hoffnung haben, dass "AKK" sich fangen würde und ihr vielleicht auch als Kanzlerin nachfolgen könnte.

Doch es kam alles anders. Kramp-Karrenbauer kündigte im Februar 2020 an, sich von der CDU-Spitze zurückzuziehen, voll des Frustes über die permanente Illoyalität in der Partei.

Es war der berühmte "Paukenschlag", doch für die Welt und auch Merkel selbst sollte sich eine andere Entwicklung als deutlich gravierender herausstellen: die Verbreitung des Coronavirus aus Asien über die ganze Welt.

Viele Corona-Warnungen

Merkel wurde zur "Corona-Kanzlerin" und war plötzlich gefragt wie lange nicht mehr. Auch viele, die eigentlich schon die Nase voll von ihr hatten, empfanden ihre politische Erfahrung und ihr nüchternes Vorgehen plötzlich als äußerst beruhigend und wohltuend – vor allem im Vergleich mit US-Präsident Donald Trump und dem britischen Premier Boris Johnson.

"Es ist ernst, nehmen Sie es auch ernst", mahnte sie das Volk und führte die Deutschen mit Strenge durch die Pandemie – wobei sich im 15. Jahr ihrer Kanzlerschaft fast schon ein neues Nahverhältnis zu den Deutschen entwickelte. Nie zuvor sprach Merkel so häufig zu den Bürgerinnen und Bürgern wie in dieser Zeit.

Das wirkte sich auch in Umfragewerten aus. Die Union, die bei der Bundestagswahl im Herbst 2017 32,9 Prozent erreichte, wurde wieder in 40-Prozent-Höhen getragen. Und jetzt gibt es, nicht nur in Berlin und Brüssel, die große Hoffnung, dass Merkel auch der EU wieder zu Stärke verhilft.

Die Hände voll zu tun

Die Situation erinnert ein wenig an die Zeit ihres Amtsantritts als Kanzlerin im Jahr 2005. Damals hatten Frankreich und die Niederlande bei Referenden den Vertrag für eine EU-Verfassung abgelehnt, der Ende 2001 beim EU-Gipfel von Brüssel eingeschlagene Reformweg schien verbaut. Merkel als Regierungschefin des größten Landes hatte auf europäischer Ebene immer alle Hände voll zu tun.

2007 übernahm Deutschland zum ersten Mal unter ihrer Führung den EU-Vorsitz. Der Verfassungsvertragstext wurde überarbeitet, als leicht veränderter EU-Vertrag von Lissabon doch realisiert. Er trat 2009 in Kraft und gilt bis heute. Ab 2008 erschwerte auch noch die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise die Lage.

Viel Wut in Griechenland

Als Merkel sich später um Griechenland "kümmerte", das bankrotte Land also gegen harte Sparauflagen im Euro hielt, da schmähte sie der damalige griechische Oppositionschef und spätere Premier Alexis Tsipras als "gefährlichste Politikerin Europas" und warf ihr vor, in Griechenland eine "humanitäre Katastrophe" anzurichten.

Aber die Kanzlerin erwies sich im letzten Moment als Integrationistin, verhinderte im Juli 2015 das drohende Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone und aus der EU.

Jetzt, beim EU-Wiederaufbau, ist Merkels Motivation nicht die reine Nächstenliebe. Sie denkt an die Bedürfnisse der heimischen Wirtschaft. Die deutsche Exportnation braucht Märkte, wenn diese wegbrechen, wirkt sich das gravierend auf den Wohlstand der Deutschen aus.

Viele von ihnen leiden ohnehin unter den wirtschaftlichen Corona-Folgen, und sie schauen natürlich genau, welche (deutschen) Mittel die Kanzlerin zur Rettung der EU freigibt. Deutschland soll selbstverständlich auch wieder auf stabilen Beinen stehen, wenn Merkel sich, wie angekündigt, nächstes Jahr zurückzieht.

In Berlin wird ja schon spekuliert, dass sie 2021 noch einmal antritt, wenn in den kommenden sechs Monaten alles gut läuft. Es wäre dann ihre fünfte Amtszeit. Merkel selbst hat auf die Frage, ob es Überlegungen in diese Richtung gebe, vor kurzem jedoch sehr entschieden reagiert. Ihre Antwort lautete: "Nein. Wirklich nicht." (Birgit Baumann aus Berlin, 30.6.2020)