Menschliche Zähne geben Auskunft über Verwandtschaftsverhältnisse und geografische Herkunft.

Foto: Katerina Harvati/Universität Tübingen

Die Genetik hat bei der Erforschung der menschlichen Vergangenheit mittlerweile einen fixen Platz. DNA-Vergleiche decken Wanderbewegungen früher Homo-sapiens-Populationen auf und liefert unschätzbares Wissen über die Verwandschaftsverhältnisse unserer Vorfahren. Aber nicht immer steht verwertbare Erbsubstanz in ausreichender Menge zur Verfügung. In solchen Fällen erweist sich ein Blick auf die Zähne als äußerst informativ: Genetische Verwandtschaftsbeziehungen zwischen individuellen Menschen oder auch Menschengruppen lassen sich nämlich auch sehr gut anhand ihrer Zahnformen rekonstruieren. Zähne sind härter als Knochengewebe und Zahnreste verstorbener Individuen meist auch dann noch gut erhalten, wenn Knochen und DNA längst zerfallen sind.

Die Form menschlicher Zähne ist stark variabel und unterscheidet sich im Detail von Person zu Person. Merkmale sind zum Beispiel die Größe der Zahnhöcker, das Furchenmuster in Zahnkronen, die unterschiedliche Anzahl von Zahnwurzeln oder das Vorhandensein beziehungsweise Fehlen von Weisheitszähnen. Solche Zahnmerkmale sind erblich. Bestimmte Ausprägungen treten familiär gehäuft auf und lassen sich weltweit mit unterschiedlicher Häufigkeit in verschiedenen Bevölkerungsgruppen beobachten.

Ein Fortscherteam von der Universität Tübingen hat nun mithilfe eines Algorithmus herausgearbeitet, welche der zahlreichen Zahnmerkmale sich für Verwandtschaftsanalysen besonders gut eignen und welche Zahnmerkmale weniger die Verwandtschaft, sondern eine ähnliche Anpassung an gleiche Umweltbedingungen widerspiegeln.

Auf neutrale Merkmale kommt es an

"Die globale Vielfalt an Zahnmerkmalen entstand wahrscheinlich hauptsächlich durch die sogenannte Gendrift", sagt Hannes Rathmann von der Uni Tübiingen. "Das ist ein evolutionärer Prozess, bei dem sich neutrale Mutationen, also Genveränderungen, die keine Vor- oder Nachteile beinhalten, zufällig in einer Population fest-setzen." Anders sei es, wenn bestimmte Merkmale vorteilhaft sind. Dann können sie sich durch Selektion und Anpassung an veränderte Umweltbedingungen in einer Population ausbreiten wie zum Beispiel bei einer anderen Nahrung, die eine Anpassung beim Kauen erfordert.

"Für die Rekonstruktion genetischer Verwandtschaften eignen sich neutrale Zahnmerkmale am besten", erklärt Hugo Reyes-Centeno, ebenfalls von der Uni Tübingen. Um neutrale und nicht-neutrale Zahnmerkmale voneinander zu trennen, haben die Forscher die Variation von zahlreichen Zahnmerkmalen im Zusammenhang mit der genetischen Variation diverser Bevölkerungsgruppen der Welt untersucht.

Die Wissenschafter haben im Fachjournal "PNAS" einen selbst entwickelten Algorithmus vorgestellt, der DNA-Sequenzen mit allen gängig verwendeten Zahnmerkmalen und Merkmalskombinationen vergleicht. Die Forscher testeten in umfangreichen Berechnungen mehr als 130 Millionen mögliche Merkmalskombinationen. Sie konnten dadurch eine bestimmte Kombination an Zahnmerkmalen identifizieren, die dem Muster neutra-ler genetischer Variation am ehesten entspricht und sich somit am besten für die Rekonstruktion von Verwandtschaftsbeziehungen eignet.

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Gängige Anwendungsbereiche der Verwandtschaftsbestimmung mithilfe von Zahnmerkmalen seien die Identifizierung unbekannter Toter, die Untersuchung von Mobilität und Bevölkerungsstruktur vergangener Kulturen in archäologischen Studien und die Rekonstruktion der Abstammungsgeschichte des Menschen anhand von Fossilien. "In solchen Zusammenhängen ist die DNA für nähere Untersuchungen manchmal zu schlecht erhalten oder vom Untersuchungsmaterial darf keine Probe genommen werden, um es nicht zu zerstören", erläutert Reyes-Centeno.

Dann sei die Bestimmung der Zahnmerkmale eine gute Alternative. "Wir empfehlen, nur die Merkmale und Merkmalskombinationen zu nutzen, die wir in unserer Studie als besonders effektiv herausstellen konnten. Sie erlauben genaue Rückschlüsse auf die genetische Verwandtschaft." Die Einbeziehung nicht-neutraler Zahnmerkmale könne dagegen das Ergebnis der Analysen verfälschen. (red, 5.7.2020)