Eigentlich wollte ich hier und heute ja nur über Ed Kramers "Trailrocker"-Lauftreff schreiben. Erstens, weil ich viel zu wenig über Traillaufen schreibe. Zweitens, weil ich es liebe – aber viel zu selten Zeit finde, dafür aus der Stadt rauszufahren. Viertens, weil es immer mehr Menschen gibt, die diese Form des Wald- und Wiesenlaufens für sich entdecken, es aber – fünftens – ein Missverständnis gibt, das der Ironman/Triathlon-Fehlassoziation nicht unähnlich ist:

Beim T-Wort denken viele ausschließlich an Extreme. Die Volldistanz beim Triathlon oder dramatisch-hochalpine 100-Meilen-und-mehr-Eventserien.

Foto: thomas rottenberg

Dass Hardcore-Bilder nur einen minimalen Teil von dem abbilden, was Trail & Tri sind? Geschenkt. Aber Hemmschwellen sind und bleiben Hemmschwellen: Sie schrecken oft ab, bevor man überhaupt genau hinschaut. Technisch, bleiben wir beim Trail, ist es einfach: Laut Wettkampfregeln ist es "Trail", wenn 80 Prozent der Strecke nicht auf Asphalt verlaufen.

Und wenn man einfach nur so läuft? Wenn es 78 oder nur 75 Prozent sind? Gilt das? Falsche Frage. Weil so was wurscht ist – solange es Spaß macht.

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Es gibt allerdings auch einen Grund, der eventuell dagegen spricht, hier just die "Trailrocker" zu featuren: Ed und Elisa Kramer-Asperger gehören nicht nur zu meinen engsten Freunden, sondern betreiben auch ein Laufgeschäft. Traildog Running. Also einen Laden, der seinen Fokus auf Trailrunning legt und zu jener Handvoll Laufläden zählt, die ich vorbehaltlos empfehle (die anderen in Wien: Blutsch, Toni, RunInc & WeMove).

Dennoch: Wer meint, dass es keinen schlanken Fuß macht, wenn ich über Freunde schreibe, die in dem Feld, um das es hier geht, auch noch ihren Lebensunterhalt verdienen, muss jetzt stark sein – und damit leben. Oder woanders hinklicken.

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Alle anderen dürfen weiterlesen. Und können sich gleich überlegen, morgen – dieser Text erscheint Mittwochfrüh – ein bisserl Trailluft zu schnuppern. Weil Ed (vorne im Bild) und sein Kumpel Christian Hermann Donnerstagabend wieder von der Wiener Hütte in Kaltenleutgeben zu einer kleinen, feinen Trailrunde aufbrechen, bei der es weder Startgeld zu bezahlen gibt noch Verkaufs- oder Werbe-Aktivitäten zu befürchten sind.

Die Runden sind meist etwa 15 Kilometer lang, haben zwischen 400 und 600 Höhenmeter und sind grundsätzlich für jede und jeden laufbar, die oder der gesund ist und ein bisserl Lauferfahrung mitbringt.

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Gelaufen wird in der Gruppe. Manchmal auch in zwei oder drei – und das Tempo richtet sich nach dem oder der Langsamsten: Das ist kein Wettkampf. Freilich sollte man neben ein bisserl Kondition (15 k Gelände sind was anderes als 15 k Beton) auch die beim Trail gängige Grundausrüstung mitbringen: einen Rucksack mit wärmender und wetterfester Notwäsche, Wasser und etwas zu essen. Handy, Trillerpfeife und – man läuft in die Dämmerung –Stirnlampe sind kein Fehler: Im Idealfall bringt man das Zeug unbenutzt heim. Aber: Das weiß man immer erst nachher.

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Begonnen, erzählen Christian und Ed, haben die Trailrocker-Läufe, weil Kramer und Hermann Nachbarn sind. Und Hermann, unter anderem einer der schnellsten Cani-Crosser (Laufen mit Hund) Österreichs und Laufcoach, und Kramer dann vergangenen Dezember beschlossen, aus den Kumpel-Läufen etwas Offenes zu machen.

Der Unterschied zu den regelmäßigen Lauftreffs seines Shops, sagt Ed, sei auch klar: "Im Laden gibt es da meist einen Sponsor oder Hersteller, der seine Produkte bewirbt – man kann testen, aber es geht auch um Werbung und Verkauf. Hier laufen wir einfach."

Foto: thomas rottenberg

Das schätzen nicht nur "Newbies", sondern auch Auskenner:

Als ich – vor 14 Tagen – das erste Mal mitlief, war auch Werner Mairl da. Mairl ist so etwas wie ein Fixstern in der Trailszene in und um Wien – allein weil er mit seiner Plattform Trailrunning Vienna genau das tut, was auch die Trailrocker wollen: Menschen, die Lust aufs Laufen im Gelände haben, die Angst davor zu nehmen – und das noch niederschwelliger als die Waldläufer von Kaltenleutgeben, mit dezidiert als "Anfängertrails" ausgeschilderten Veranstaltungen.

Was Mairl hierher führte? "Hier kann ich einfach mitlaufen – und muss mich um nix und niemanden kümmern."

Foto: thomas rottenberg

Das hat was. Vor allem dann, wenn man sich in einer Gegend (noch) überhaupt nicht auskennt: In der Stadt steigt man im Notfall in die nächste Straßenbahn. Aber im Wald?

"I just moved from London to Vienna", erklärte Michael, der das erste Mal dabei war. "normally I run longer distances – but this run is great. And it is very much ok, if you still have to get to know the area: It was hard enough finding my way to Kal-den-lü … well, however you pronounce this," lachte der Neo-Alsergrunder.

Foto: thomas rottenberg

Laufen, hatte der Brite schon vorher mitbekommen, kann man in Wien wirklich gut. Dass es aber auch solche Reviere gibt, hätte er nicht erwartet. Er ist da in allerbester Gesellschaft: Wie nah solche Paradiese (egal ob zum Laufen, Spazierengehen oder einfach In-der-Wiese-Sitzen) an der Großstadt liegen, wissen auch viele Locals oft nicht. Oder vergessen es rasch wieder.

Schade – aber dagegen kann man ganz leicht etwas tun: die Augen aufmachen – und neugierig bleiben.

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Womit ich irgendwie doch bei meinem zweiten Thema heute angekommen wäre: einer Studie über die "Laufqualität" Wiens. Der Münchner Online-Sportartikler Keller Sports hat sie erstellt – und am Montag veröffentlicht.

Wien, so das Ergebnis, ist Österreichs beste Laufstadt – und unter den 33 bewerteten Städten in Deutschland der Schweiz und Österreich immerhin die 17.-beste.

Derlei, heißt es, sei auch von touristischem Interesse. Schließlich hätten während des Lockdowns sehr viele Menschen das Laufen entdeckt. Und wenn man nun wieder reisen dürfe, sei die "Belaufbarkeit" von Destinationen ein Thema. Stimmt.

Foto: thomas rottenberg

Die Studie wertet deshalb neben Art und Vielfalt von Laufveranstaltungen und Laufrouten auch Wetter- & Feinstaubdaten aus, setzt all das in Relation zu Grünräumen und Sportplätzen – und bastelt dann anhand von Vergleichsparametern ein Ranking.

Klingt interessant. Dann schaute ich die Details & Daten an: In Wien gibt es demnach exakt 3.622 Laufstrecken – und jährlich 21 Laufveranstaltungen. Und zwar jeweils neun 5.000-Meter-Bewerbe und Halbmarathons sowie drei Marathons. Abgefragt wurden bei allen Städten auch 10-k-Läufe – aber so was gibt es in Wien nicht: Null. Steht da: Zahlen lügen nicht.

Außerdem hat Wien demnach 142 Parks – und die durchschnittliche Jahresniederschlagsmenge liegt laut Studie bei 1.085 Millimetern.

Foto: screenshot

Ich habe keine Ahnung, von welcher Stadt die Keller-Sportler da sprechen – aber Wien kann es nicht sein: Hier gibt es nämlich 1.000 Parks und zwischen 600 und 800 Millimetern Regen/Jahr. Ich würde auch gern die Gesichter der VCM-Macher oder von Frauenlauf-Veranstalterin Ilse Dippmann sehen, wenn ich ihnen erkläre, dass es ihre AIMS-vermessenen Zehn-Kilometer-Läufe gar nicht gibt. So wie dutzende andere Läufe und Events.

Aber ich tröstete mich: In Salzburg und Linz gibt es der Studie zufolge keinen Marathon (im Bild: der Start in Linz 2018) – und in Linz überhaupt nur vier Laufveranstaltungen pro Jahr. Graz landet trotz zweier Marathons (bei insgesamt sieben Laufveranstaltungen pro Jahr) und gerade einmal sieben Parks auf dem 33. und damit letzten Platz aller bewerteten Städte.

Foto: thomas rottenberg

Vielleicht liegt das ja auch daran, dass Graz – laut Studie – im Winter saukalt ist: "Mit Temperaturen um minus 0,5 °C herrschen nur in Dresden niedrigere Temperaturen als hier." Dass es – ebenfalls laut Studie – im kältesten Wintermonat in Wien im Schnitt minus 3,1 Grad hat, irritiert da vermutlich nur deshalb nicht, weil Wien (wieder laut Studie) ein Luftproblem hat: "Die höchsten Feinstaubwerte in Österreich." Auf den 3.622 Laufstrecken Wiens empfiehlt Keller Sports aber dennoch statt Atemschutzmasken "wetterfeste Kleidung" – weil es nur in Zürich ebenso oft und intensiv regne.

Und so weiter. Eigentlich eh lustig – abgesehen davon, dass viele Medien solche "Studien" unreflektiert und ohne die Zahlen auch nur ansatzweise auf Plausibilität (von Korrektheit rede ich eh nicht) abzuklopfen wiedergeben.

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Noch dazu tauchen im begleitenden, als "Ergebnisliste" titulierten Material, zur Studie auch ganz andere Werte auf: Eine Null bei der Zahl der Sonnenstunden in Salzburg etwa. Oder eine Null bei der Zahl der Sportplätze in Linz.

Auf Nachfrage erklärt mir die Pressedame bei Keller dann, dass die "Ergebnisliste" lediglich Vergleichsdaten zeige. "Ich hoffe, das macht es klarer." Nein, für ein Zahlen-Voll-Ei wie mich eher nicht: "Um verschiedene Städte miteinander vergleichen zu können, müssen Rohdaten standardisiert werden. Dafür wird eine Punkteskala von 0 bis 100 genutzt. Nehmen wir als Beispiel die Marathon-Events. Die Stadt mit den meisten Marathon-Events erhielt die Punktzahl 100. Die Stadt mit den wenigsten erhielt 0 Punkte. Alle anderen Städte reihen sich dann basierend auf ihrem Ergebnis im Verhältnis zwischen 0 und 100 ein. Das ist eine gebräuchliche Methodik aus der Statistik. Insofern unterscheiden sich Rohdaten und Vergleichsdaten nicht, sie sind nur anders, nämlich vergleichbar dargestellt."

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Ich könnte jetzt natürlich kleinlich nachbohren, wieso Graz da in der Sonnenstunden-Vergleichswertung mit (laut klima.de) fünf Sonnenstunden im Tagesschnitt Lichtjahre von Linz (4,8) und Salzburg (4,7 – alles: klima.de) entfernt ist. Aber: egal.

Spannender ist nämlich die Frage, wo die für Läufer wirklich relevant-falschen Zahlen herkommen: die über Laufevents und Grüngebiete. Oder wer Laufstrecken wie zählt.

Für Keller Sports ist der da verbreitete Vollholler keiner – schließlich, betont man, stammen die Termine vom Marktführer der Lauf-Medienlandschaft: Runners World.

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Im Wortlaut: "Der Runners-World-Kalender wurde genutzt, um eine Referenz zu erhalten, die alle Städte vergleichbar macht. Aus diesem Grund wurde jeweils nur eine Quelle genutzt – und damit für jede Stadt dieselbe.

Zu den Parks: Die Anzahl der Grünanlagen und Parks wurde mithilfe von Yelp ermittelt. Es wurden alle Treffer für die jeweilige Stadt in der Kategorie "Parks und Grünanlagen" gezählt. Dieser Faktor dient als Indikator für die Vielzahl an naturnahen Laufstrecken in der untersuchten Stadt.

Zu den Laufstrecken: Die Anzahl der beliebtesten Laufstrecke wurde den Daten von "Map my Run" entnommen. Dieser Faktor dient als Indikator für die Vielzahl an Laufstrecken in der untersuchten Stadt. Diese Laufstrecken werden von der Lauf-Community selbst erstellt."

Dazu fiel mir dann nix mehr ein: Ich ging laufen.

(Thomas Rottenberg, 1.7.2020)

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