Die neu entdeckte Fischsaurier-Art Hauffiopteryx altera.
Foto: SMNS, D. Cortés

Als Paläontologe muss man nicht gezwungenermaßen ein Fossil ausgraben, um eine ausgestorbene Art zu entdecken. Zwei Wissenschafterinnen ist dies nun durch den Vergleich bereits bekannter Fundstücke aus England und Baden-Württemberg gelungen: Die Paläontologinnen aus Stuttgart und Montreal konnten eine bisher unbekannte Ichthyosaurier-Art erstmals wissenschaftlich beschreiben. Das Fossil stammt aus den 182 Millionen Jahre alten Posidonienschiefern des Unteren Juras Südwestdeutschlands.

Die Entdeckung der neuen Art ist ein weiteres Puzzleteil, das zur genauen Rekonstruktion der Vielfalt des urzeitlichen Jurameeres, dessen Ökosystems sowie der Evolution der Meeresreptilien beiträgt. Die Forschungsarbeit der Fischsaurier-Expertinnen Erin Maxwell vom Naturkundemuseum in Stuttgart und Dirley Cortés vom Redpath Museum der McGill University in Canada wurde nun in der Fachzeitschrift "Palaeontologia Electronica" veröffentlicht.

Riesenhafte Meeresräuber

Ichthyosaurier (auch Fischsaurier genannt) waren Reptilien, die in großer Anzahl in den Meeren des Erdmittelalters vorkamen. Wie die heutigen Delfine besaßen sie einen stromlinienförmigen Körper und Flossen anstatt Beinen. Deutsche Wissenschafter beschäftigen sich mit diesen Meeresreptilien seit dem frühen 19. Jahrhundert, als die ersten spektakulären Fossilien in Südwestdeutschland entdeckt wurden. Die Posidonienschiefer im Süddeutschen Becken sind sehr fossilreich und in den letzten 200 Jahren wurden tausende außerordentlich gut erhaltener Ichthyosaurier-Skelette entdeckt, deren Größe zwischen zwei und mehr als zehn Metern liegt. Andere Arten erreichten sogar noch deutlich größere Ausmaße: 2016 nahe dem britischen Somerset entdeckte Fossilien weisen auf ein über 25 Meter großes Exemplar hin.

Die marinen Fossilien zeigen sogar versteinerte Weichteile, Mageninhalte sowie Embryonen und sind in Museen auf der ganzen Welt untergebracht. Die Entdeckung einer neuen Fischsaurier-Art nach so vielen Jahren der weltweiten Forschung und Sammlung wurde in Fachkreisen als unwahrscheinlich angesehen. Allerdings wurde die zwei Meter lange Ichthyosaurier-Art Hauffiopteryx typicus, die erstmals vor 90 Jahren am Fuße der Schwäbischen Alb entdeckt wurde, auch in gleichalten Gesteinsschichten in England gefunden. Frühere Studien hatten Zweifel angemeldet, dass es sich bei den Populationen von Hauffiopteryx typicus, die rund 1.000 Kilometer voneinander entfernt gefunden wurden, tatsächlich um die gleiche Arten handelt.

Erin Maxwell vor einem Exemplar des Fischsauriers Hauffiopteryx typicus.
Foto: SMNS, T. Wilhelm

Gepresst und in 3D

Durch vergleichende paläontologische Untersuchungen von Fossilien aus England und Südwestdeutschland gingen die Fischsaurier-Expertinnen dieser Frage nach. Die wissenschaftlichen Untersuchungen waren durch die unterschiedlichen Erhaltungsweisen der Fossilien kompliziert: Die englischen Fossilien sind dreidimensional erhalten geblieben, die deutschen Fossilien durch den Druck des darüber liegenden Gesteins meist nur zweidimensional. Um festzustellen, ob zwei tatsächlich geografisch getrennte Arten von Hauffiopteryx vorhanden waren, untersuchten die Wissenschaftlerinnen alle bekannten Fossilien von Hauffiopteryx aus Deutschland: Sieben vollständige Skelette und drei Schädel, von denen einer ebenfalls als räumliches Fossil vorliegt.

Zunächst wurde der dreidimensionale Schädel unter die Lupe genommen, da er durch seine Erhaltungsform den englischen Hauffiopteryx-Fossilien am ähnlichsten ist. Die Paläontologinnen stellten schnell fest, dass sich die Anordnung der Knochen in diesem Schädel stark von den englischen Hauffiopteryx-Fossilien unterscheidet, aber auch von den verbleibenden neun deutschen Exemplaren. Diese wiederum zeigten allerdings keine wesentlichen Unterschiede zum britischen Material. Die ersten Beobachtungen der Forscherinnen wurden durch nachfolgende genauere Analysen gestützt: Die Unterschiede am dreidimensionale Schädel des Fischsauriers aus Südwestdeutschland im Vergleich zu allen anderen Exemplaren zeigten, dass man es mit einer neuen Art zu tun hat.

Vollständiges Fossil eines Hauffiopteryx typicus.
Foto: SMNS/M. Wahler

Neues Puzzleteil im Fischsaurierstammbaum

"Das Ergebnis ist für uns hochinteressant. Es scheint, dass es während des frühen Juras keine wesentlichen geografischen Unterschiede zwischen englischen und deutschen Ichthyosaurier-Populationen gab. Das deutet auf eine homogene europäische marine Reptilienfauna hin. In diesem Zeitraum gab es im Südwesten Deutschlands jedoch tatsächlich zwei Arten des Fischsauriers Hauffiopteryx", sagt Maxwell. Das beweise, dass selbst gut untersuchte fossile Ablagerungen, wie der Posidonienschiefer, immer noch Überraschungen bringen können. "Wir haben ein neues Puzzleteil gefunden, dass zur genauen Analyse des damaligen Ökosystems beiträgt und uns bei der Erforschung der Biologie der Ichthyosaurier wieder einen Schritt weiter bringt", so die Forscherin.

Die neue Art wurde von Maxwell und Cortés Hauffiopteryx altera genannt, was auf die anatomischen Abweichungen von Hauffiopteryx typicus anspielt. Die Paläontologinnen vermuten, dass Hauffiopteryx altera ungefähr so groß war wie ein erwachsener Mensch. (red, 5.7.2020)