Der Autor Gerhard Ruiss setzt sich seit 40 Jahren für bessere Arbeitsbedingungen im Kulturbereich ein.

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Dass Teile der Kulturbranche bei den Corona-Finanzhilfen bislang recht leer ausgingen, will eine neue Initiative, die sich aus allen Kunstsparten zusammensetzt, nun auch auf der Straße zum Thema machen. Ab 15 Uhr ruft man in Wien zu einem "Schweigemarsch" auf. Einer der Wortführer, der Autor Gerhard Ruiss, kämpft seit über 40 Jahren gegen prekäre Arbeitsverhältnisse im Kulturbetrieb.

STANDARD: Während in der Corona-Krise viele Künstler seit vier Monaten ohne Einkommen sind, werden Sie selbst bald mit dem mit 10.000 Euro dotierten H.-C.-Artmann-Lyrikpreis ausgezeichnet. Nehmen Sie den aktuell mit gemischten Gefühlen an?

Ruiss: Grundsätzlich wird der Preis für eine jahrzehntelange Leistung vergeben und bezieht sich wie alle Preise nicht auf eine akute Situation. Das ist der Normalbetrieb bei der Kulturförderung, den haben wir immer getrennt von den sozialen Unterstützungsnotwendigkeiten, die es auch gibt. Wir haben aktuell nicht das Problem, dass die Dotierung von Preisen und Stipendien auslässt, denn die wurde ja teils sogar ausgeweitet, sondern die Unterstützungsleistungen lassen aus – bei vielen seit vier Monaten.

STANDARD: Gratuliert hat Ihnen, wie sich das gehört, auch die neue Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer. Für Sie ist die langjährige Sektionschefin keine Unbekannte. Wie macht sie sich im neuen Job?

Ruiss: Ich glaube, was sie macht, macht sie im Höchsttempo, und das muss sie auch. Sie ist auf jeden Fall ein Profi. Ob sie auch ein Durchsetzungsprofi innerhalb der Regierung ist, das ist die offene Frage. Wir brauchen ja nicht mehr Förderung, sondern Gesetzesänderungen. Dieses Desaster ist auch passiert, weil wir im Kulturbereich ein schlechtes Sozialsystem und Steuerrecht haben.

STANDARD: Sie protestieren nun mit einen "Schweigemarsch" unter dem Motto "Ohne Kunst wird’s still". Kommt der nicht zu spät? Denn ab Juli sollen die Zahlungen ja nun wirklich fließen, 6.000 Euro pro Person als Einmalzahlung.

Ruiss: Wir leben von einem weiteren Versprechen. Denn schon vor Monaten wurde uns ja versprochen, dass alle unsere Bedürfnisse abgedeckt würden, das ist bis jetzt nicht der Fall. Wir wollen glauben, dass das eingelöst wird, aber mit zwei Vorbehalten: Wenn jemand wirklich von diesen 1.000 Euro monatlich leben sollen muss, wird es zu wenig sein, weil das noch ca. 300 Euro unter der Armutsgrenze liegt. Und außerdem umfasst diese Zahlung nur einen Teil der Künstler, nämlich die Selbstständigen. Es gibt eine ganz große weitere Zahl von Kulturschaffenden, die nicht selbstständig versichert sind.

STANDARD: Nicht fest angestellte Künstler sind keine Selbstständigen in Ihren Augen?

Ruiss: Wir sind weder das eine noch das andere, das ist der alte Streit. In Deutschland gibt es den Terminus "arbeitnehmerähnliche Personen". Den Begriff hat man bei uns nie eingeführt. Wir sind ja keine Unternehmer, sondern stehen in arbeitnehmerähnlichen Abhängigkeitsverhältnissen. Wir haben aber zum Beispiel trotzdem keine Kollektivvertragsfähigkeit.

STANDARD: Vor genau 22 Jahren haben Sie auf der Ringstraße einen "Umzug der Maroden" organisiert. Damals wurde für ein Künstlersozialversicherungsgesetz gekämpft, geworden ist es ein Künstlersozialversicherungsfond. Bis heute sind Sie damit nicht zufrieden. Warum?

Ruiss: Wir haben kein Sozialversicherungsgesetz bekommen, sondern ein Zuschussgesetz. Das ist typisch für Österreich. Dieses Förderungsgesetz greift nur im Bedürftigkeitsfall, aber nicht im Regelfall. Wir haben nicht das, was unselbstständig Erwerbstätige haben, nämlich dass die Arbeitgeber mitzahlen – wir zahlen unsere Beiträge zu 100 Prozent selbst.

STANDARD: Stattdessen fordern Sie ja mittlerweile ein bedingungsloses Grundeinkommen für Künstler, Ein-Personen-Unternehmen und Ähnliche. Ist das nicht etwas kühn? Wenn schon Grundeinkommen, dann für alle, oder?

Ruiss: Grundsätzlich wollen wir ohnehin Grundeinkommen für alle. Aber angesichts der prekären Situation, in der wir stehen, könnte man sagen: Warum nicht sofort für Künstlerinnen und Künstler? Wir haben keine Krankenversicherung, die vorsieht, dass wir Krankengeld bekommen, und wir haben auch keine Arbeitslosenversicherung. Wir stehen, wenn wir keine Arbeitsmöglichkeit haben, vor dem Nichts. In dieser Drastik haben das andere nicht. Man könnte das Grundeinkommen als Aufstockung einführen für alle, deren Einkommen unter der Armutsgrenze liegen.

STANDARD: Bei allem Verständnis für die Sorgen: Wählen freischaffende Künstler nicht auch selbst ein gewisses Restrisiko?

Ruiss: Das Risiko bleibt sowieso, das hat auch jeder andere, der eine Berufsausbildung macht und dann keinen Job bekommt. Ich glaube aber nicht, dass man sagen kann: Du hast jetzt fünf Jahre als Künstler gut verdient, und wenn im sechsten Jahr plötzlich nichts mehr geht, dann haben wir als Gesellschaft nichts mehr übrig für dich. Aber es soll auch nicht darum gehen, dass jeder als Künstler "durchgebracht" wird. Es soll sich natürlich auch an der Produktivität bemessen.

STANDARD: Sie fordern außerdem eine Verdoppelung des Kulturbudgets auf ein Prozent des BIP und ein eigenständiges Ministerium für Kunst und Kultur – auch das seit vielen Jahren erfolglos. Haben Sie überhaupt noch Hoffnung in die Politik?

Ruiss: Hoffnung habe ich immer, denn wir haben schon viele Dinge verwirklicht, wo es anfangs hieß, das wird nicht gehen. Es ist immer alles von vornherein nie möglich. Ich habe Hoffnung, weil allmählich bewusster wird, welche Bedeutung Kunst und Kultur für dieses Land haben, weil es in der Außenwahrnehmung extrem darüber definiert wird. Wir können es uns einfach nicht leisten, dass die Politik Kultur vernachlässigt. (Stefan Weiss, 1.7.2020)