Bassam Bahar, ein Anwalt aus Abu Dis, blickt über die Mauern, die die Westbank von Israel trennen.

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Der Bürgermeister von Abu Dis will zurücktreten, wenn seine Stadt die Hauptstadt eines Palästinenserstaates wird.

Der Bürgermeister schiebt die Brille hoch, der Schweiß lässt sie wieder auf die Nasenspitze rutschen. Die Nachmittagssonne knallt auf den Hügel, dessen Spitze einen Blick weit in die Wüste unter Jerusalem bietet, aufs Tote Meer, das im Dunst liegt. Es wäre es ein traumhaftes Panorama, doch der Lokalpolitiker hat keinen Nerv für Naturromantik. "Da ist sie", sagt er trocken. Er zeigt auf die riesige Mülldeponie im Tal. Sie liegt unterhalb von Abu Dis, jener Stadt, deren Bürgermeister er ist. In der Grube landet Müll aus Jerusalem, aus den umliegenden palästinensischen Siedlungen, aus Abu Dis und aus den jüdischen Settlements. Wenigstens den Müllberg teilt man sich. Den Gestank und die Schadstoffe im Wasser, das im Winter durchs Tal fließt, ebenso. Seit langem sucht man eine Lösung für die Deponie. Dass eine Annexion des Gebiets durch Israel wenigstens dieses Problem lösen könnte, glaubt der Bürgermeister nicht. Es fällt ihm sichtlich schwer, der drohenden Gebietsübernahme etwas Positives abzuringen.

Der mehrfache Affront

Dabei wäre die Annexion für Abu Hilal die Chance für so etwas wie einen Ritterschlag. Er wäre nicht mehr nur irgendein Vorort-Ortsvorsteher im Schatten von Jerusalem. Er wäre der Bürgermeister der Hauptstadt Palästinas. Zumindest schwebte das den Autoren des Trump-Plans vor, die damit eine alte israelische Idee aufgriffen. Für die Palästinenser ist es ein mehrfacher Affront. Sie sehen sich in einem Flickwerk von verstreuten Städten, Lagern und Dörfern wieder, die durch Straßen unter israelischer Militärkontrolle verbunden sind. Deren Hauptstadt, so heißt es, könnte dann Abu Dis mit seinen rund 15.000 Einwohnern sein, und es stehe den Palästinensern ja frei, die Stadt "Al Quds" zu nennen, der Name Jerusalems. "Nicht mit mir", sagt der Bürgermeister auf die Frage, wie ihm das gefällt. "Wenn Abu Dis Hauptstadt wird, trete ich zurück."

Für die Palästinenser ist jedes Zukunftsszenario, in dem eine andere Stadt als Jerusalem die Hauptstadt eines eigenen Staates ist, inakzeptabel. Da ändert auch nichts daran, dass die Palästinensische Autonomiebehörde hier 2000 anfing, ein Parlamentsgebäude zu errichten. Der Bau wurde nie fertiggestellt. Die Bauarbeiter kehrten genauso wenig an die Baustelle zurück wie die Friedensverhandler an den Tisch. Es gibt hier aber keine Wahlen. Und von einem eigenen Staat ist man nach dem Trump-Plan noch weiter entfernt als zuvor.

Interimslösung, die blieb

Der Plan tue nichts anderes, als nun auch auf dem Papier festzuschreiben, was de facto schon seit Jahren passiert, sagt Bassam Bahar, ein Anwalt aus Abu Dis. "Die Siedler breiten sich immer weiter auf unserem Gebiet aus", sagt Bahar. Was Bahar als "unser Gebiet" bezeichnet, wurde vor 25 Jahren zwischen Israelis und Palästinensern als Territorium unter fast vollständiger israelischer Kontrolle definiert – als Interimslösung, die später von einer dauerhaften Einigung abgelöst werden sollte. Die gibt es bis zum heutigen Tag nicht.

Abu Dis ist in einer speziellen Lage: Auf der einen Seite lehnt es sich an die von Israel errichtete hohe Trennmauer, auf der anderen blickt die Stadt auf eine der größten jüdischen Siedlungen im Westjordanland, die 39.000-Einwohner-Stadt Maale Adumim. Ihr Name war in den vergangenen Wochen häufig in israelischen Medien zu hören – immer dann, wenn ein Experte zu erklären hatte, was aus seiner Sicht eine Minimalvariante der Annexion sein könnte. Dann heißt es stets, dass Israel ja lediglich Maale Adumim und den Siedlungskomplex Gush Etzion annektieren könnte. Eine solche Lösung wäre weit entfernt von den im Trump-Plan vorgesehenen 30 Prozent der Westbank und würde international wohl für weniger Aufsehen sorgen, heißt es.

Aus Sicht des Bürgermeisters von Abu Dis stellt sich das anders dar. "Eine Annexion wäre für uns eine Bedrohung", sagt er. Während sich Maale Adumim weiter ausdehnen würde, drohe seine Stadt zu einem "Camp" zu werden, sagt er. Bauprojekte der Bewohner scheitern häufig daran, dass die Israelis keine Bewilligung erteilen. Viele bauen dann drauflos – auf die Gefahr hin, dass später die Behörde mit dem Abrissbescheid kommt. Nach einer etwaigen Annexion wäre wohl auch das Wildbauen nicht mehr so einfach, glaubt der Jurist Bahar. "Abu Dis wächst, aber wir wissen nicht, wohin."

Furcht vor Extremismus

Die zunehmende Verdichtung, gepaart mit der infolge der Pandemie explodierten Arbeitslosigkeit, sorge für Frust unter den Jungen. Ob er befürchtet, dass extremistische Kräfte sich das zunutze machen? Der Bürgermeister hält das für möglich. "Ich will friedliche Lösungen", beteuert der Politiker, der bilaterale Gespräche mit Israelis nicht mehr führen darf, seit die Palästinenserbehörde ihre Kooperation mit Israel beendet hat. Die Extremisten hingegen "sagen, dass sie bis zum Ende kämpfen". Das komme in Zeiten wie diesen bei vielen einfach besser an. Die Arbeitslosigkeit in der Stadt liege nun, zwischen der ersten und der zweiten Corona-Welle, bei 60 Prozent. "Wenn die Leute nichts zum Leben haben, wissen wir nicht, was sie tun." (Maria Sterkl aus Abu Dis, 1.7.2020)