Die metallenen Wände dunkel bepinselt, der Boden schwarz lackiert. Ein weiblicher Cyborg empfängt die Zuschauer, an der Wand schaut Gisele Bündchen im silbernen Bustier aus einem Bilderrahmen. Die Ausstellung Couturissime in der Kunsthalle München beginnt düster.

Einige Korsagen und Helmut-Newton-Fotos weiter lichtet sich die Inszenierung. Hier lässt sich die Vielstimmigkeit des Modedesigners Thierry Mugler, der sich immer auch als Regisseur und Choreograf verstand, erleben. Ein Raum ist allein George Michaels Musikvideo Too Funky gewidmet, der Designer hat den Vierminüter 1995 ausgestattet.

Doch es sind vor allem Aufnahmen zurückliegender Laufstegshows, die den Freigeist Mugler wieder aufleben lassen: Claudia Schiffer, Nadja Auermann, Naomi Campbell stolzieren da mit wiegenden Hüften über die Bildschirme, einmal halten die Models Hunde an der Leine, ein andermal gleiten sie auf einem Schlitten an den Zuschauern vorbei.

Unterhaltung hatte für den Designer oberste Priorität. Bereits in den Achtzigerjahren inszenierte er Modeschauen als multimediale Spektakel. Mugler war auch der Erste, der eine Fashionshow zugänglich für alle machte.

Model Jerry Hall und Thierry Mugler, bevor er sich Manfred nannte: 1996, inszeniert von Fotograf Helmut Newton.
Foto: The Helmut Newton Estate

1984 veranstaltete er anlässlich seines zehnjährigen Unternehmenjubiläums die erste öffentliche Show, ein opereskes Spektakel, in der es um mehr als nur um seine Mode ging: Tausende Besucher konnten dem amerikanischen Models Pat Cleveland dabei zusehen, wie sie über die Köpfe der sechzig übrigen Models auf dem Laufsteg schwebte, Konfettiregen und Engelschöre inklusive. Einfach nur im Takt der Saisonen Frühjahrs- und Herbstkollektionen zu entwerfen hätte einen wie Mugler gelangweilt.

Muglers Superfrauen

Beim Rundgang durch die Ausstellung wird klar: Couturissime, unterteilt in acht Kapitel, hält, was der Superlativ im Titel verspricht. Der 71-jährige Designer zeigt mehr als 150 Entwürfe. Er führt aber auch vor, dass er das große Drama beherrscht. Das Ausschweifende, das Exaltierte, die Superfrauen mit den Wespentaillen, das alles gehört zu Mugler wie die Perlenkette zu Coco Chanel.

"Ich weiß, welche Knöpfe zu drücken sind", erklärt der 1948 in Straßburg geborene Designer dann auch am Telefon: "Ich bin eben ein Showman." Zwischen der Inszenierung einer Modeschau und einer Ausstellung gebe es für ihn sowieso kaum einen Unterschied, schiebt Mugler hinterher. Hauptsache, zwischen Objekt und Bewegtbild stimme die Balance.

Zack, Bumm, Bäng: David LaChapelle fotografierte Danie Alexander 1998 in Mugler für die "London Sunday Times".
Foto: David LaChapelle

Zu der Modeausstellung hat sich Thierry Mugler überreden lassen müssen. Unzählige Anfragen habe er abgelehnt, lacht der Designer: Auf gar keinen Fall habe er eine klassische Retrospektive zeigen wollen.

Überzeugt hat ihn letztendlich Nathalie Bondil, Direktorin des Montréal Museum of Fine Arts. Sie machte ihn mit dem französischen Kurator Thierry-Maxime Loriot bekannt, der hatte bereits mit Jean-Paul Gaultier zusammengearbeitet. Für Mugler aber entscheidend: "Er hat verstanden, dass ich die Vergangenheit neu erfinden will."

Größte Herausforderung bei der zweieinhalb Jahre andauernden Vorbereitung der Präsentation: eine Auswahl aus seinem 7.000 Stücke umfassenden Fundus zu treffen und, nun ja, die richtigen Puppen zu finden, seufzt der Designer. Wegen des Lockdowns hat der Franzose seine Ausstellung in München, die nach ihrer Premiere in Montréal und einer Station in Rotterdam bis in Ende August in der bayerischen Hauptstadt haltmacht, noch nicht besuchen können.

Er führt das Telefonat von Paris aus, hier arbeitet Mugler an einem neuen Parfum. Mit dem Verkauf von Düften finanzierte der Designer auch seine Mode-Eskapaden: 1992 hatte sich Mugler mit Clarins zusammengetan, der Duft "Angel" wurde zum internationalen Bestseller, 1997 übernahm der Kosmetikkonzern die gesamte Marke.

Der Rückzug

Der Designer kehrte damals der Modeindustrie den Rücken und verschwand von der Bildfläche. Der Bombast Muglers erschien plötzlich aus der Zeit gefallen, die übersexualisierten Amazonen auf dem Laufsteg entsprachen nicht mehr dem Zeitgeist, der Minimalist Helmut Lang galt als der neue Star der Mode.

Was tat der einst als Balletttänzer ausgebildete Thierry Mugler? Er erfand sich einfach neu. Der Designer verwandelte sich in den vergangenen Jahren mithilfe von Bodybuilding und Schönheitschirurgie in einen Muskelprotz mit Schnauzer. Heute nennt er sich Manfred und lebt in Berlin.

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Rapperin Cardi B im Muschelkleid bei den Grammys 2019.
Foto: AP/Strauss

Dass seine Kostüme wieder gefragt sind, ist seinem Hang zum dramatischen Auftritt zu verdanken. Muglers Kostüme funktionieren auf der Bühne, auf dem Red Carpet und nicht zuletzt auf Instagram – auf der Social-Media-Plattform unterhält "Manfred Thierry Mugler" seine 471.000 Follower mit Modefotos und historischen Showaufnahmen.

Auch sonst hat der Designer wieder alle Hände voll zu tun. Er stattet Popstars wie Lady Gaga, Beyoncé und Kim Kardashian aus, seine Kleider verschaffen Aufmerksamkeit. Als beispielsweise Cardi B 2019 bei den Grammys in einem Muschelkleid, einer Hommage an Botticellis Venus, auftrat, ließ sie die Konkurrenz blass aussehen. Manfred Thierry Mugler weiß eben noch immer, wie der Hase läuft.

Ein Designer alter Schule aber bleibt der 71-Jährige allen Showqualitäten zum Trotz. Wenn der ausgebildete Kostümdesigner am Telefon von den "unglaublichen technischen Herausforderungen" und den komplizierten Nähten von Cardi Bs Kleid spricht, dann erahnt man, dass da auch ein Perfektionist spricht, der sein Handwerk versteht. (Anne Feldkamp, RONDO, 13.7.2020)

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Kim Kardashian bei der Met-Gala 2019.
Foto: Reuters/Anzuoni