Er zählt zu den Vergessenen in der österreichischen Medizingeschichte, obwohl er mit seinen Forschungen der Zeit weit voraus war und zudem einen in Österreich weltberühmten Nachfahren gleichen Namens hat: Der Embryologe Samuel Leopold Schenk (1840–1902) war nämlich der Großvater von Schauspiel- und Komödiantenlegende Otto Schenk, der vor kurzem unter großer medialer Begleitmusik seinen 90. Geburtstag feierte. Was in den zahlreichen Geburtstagsinterviews nur kurz zur Sprache kam, war die Schenk'sche Familiengeschichte, die einige Tragödien aufweist.

Porträt des Embryologen in der englischen Übersetzung seiner "Theorie Schenk".
National Library

Samuel Leopold Schenk, der Pater familias, war – so wie viel später sein Enkel – eine mediale Berühmtheit. Dem Mediziner sollte die öffentliche Aufmerksamkeit, die sich keineswegs auf Österreich beschränkte, im Gegensatz zu seinem Enkel allerdings zum Schaden gereichen. Die verstärkte mediale Berichterstattung über Medizinthemen und der Wiener Antisemitismus zur Lueger-Zeit um 1900 haben maßgeblich zum tiefen Fall des Forschers beigetragen. Das behauptet die Wissenschaftshistorikerin Tatjana Buklijas (Universität Auckland in Neuseeland), die sich seit langem mit dem Fall beschäftigt und nun in einer kürzlich erschienenen Sondernummer des Fachjournals "History of Science" über die wichtigsten Ergebnisse ihrer Recherchen berichtet.

In diesem Spezialheft geht es um ein höchst aktuelles Thema, nämlich um Betrug in der Wissenschaft, nur eben im historischen Kontext. Denn was gegen heutige Regeln der Forschungsintegrität verstößt, war vor gut 100 Jahren zum Teil toleriertes Verhalten. Und was heute im Bereich Medizin gang und gäbe ist, hat damals gegen die Regeln guter medizinischer Praxis verstoßen – etwa für die eigenen Theorien und die eigene Praxis Werbung zu machen. Doch alles der Reihe nach.

Pionier der In-vitro-Fertilisation

Samuel Leopold Schenk wurde 1840 in eine arme Familie deutschsprachiger Juden geboren, die aus einem kleinen Ort in der Westslowakei stammte. Schenk studierte Medizin an der Universität Wien, wo er nach der Promotion 1865 rasch Karriere machte. Er konnte sich mit 28 Jahren habilitieren und wurde mit 33 Jahren außerordentlicher Universitätsprofessor für Embryologie, einer damals international neuen Forschungsrichtung.

Nachträglichen Weltruhm erlangte Schenk mit der Arbeit "Das Säugethierei künstlich befruchtet außerhalb des Muttertieres" aus dem Jahr 1878. Darin berichtete er von ersten Versuchen der In-vitro-Fertilisation, die er mit Samen und Eizellen von Kaninchen sowie von Meerschweinchen durchgeführt hatte. Schenk wollte damit die ersten Stadien der Embryonalentwicklung untersuchen. Dass sich daraus eine Methode entwickeln würde, um Paaren zu Kindern zu verhelfen, daran hatte er wohl nicht gedacht.

Schenk in einer zeitgenössischen Karikatur mit einem Storch, quasi dem Wappentier des Embryologen.

An der Universität Wien hatte Schenk trotz seines fulminanten Karrierebeginns zu kämpfen. Sein Antrag auf eine ordentliche Professur wurde mehrmals abgelehnt. Dabei ging es stets auch um finanzielle Fragen: Schenk hatte für eine Großfamilie zu sorgen, vier seiner Kinder – allesamt Söhne – erreichten das Erwachsenenalter. Schenks wissenschaftliche Karriere, die von den Kollegen allem Anschein nach hintertrieben wurde, schlief danach ein wenig ein. Im Jänner 1898 nahm seine Laufbahn dann aber eine umso radikalere Wendung.

Die umstrittene "Theorie Schenk"

Damals erschienen erste Zeitungsartikel, die von einer sensationellen Entdeckung des Embryologen berichteten: Schenk habe herausgefunden, wie Frauen durch spezielle Ernährung vor der Empfängnis für männlichen Nachwuchs sorgen könnten. Damit machte er schnell Schlagzeilen. Damit nicht genug: Wenige Monate später erschien sein Buch "Theorie Schenk", in dem er seine neuen Erkenntnisse im Detail ausbreitete. Für Frauen, die männliche Babys bekommen wollten, propagierte er eine eiweißreiche Ernährung, dazu regelmäßige Kontrollen des Urins auf dessen Inhaltsstoffe.

Auch Postkarten erschienen mit der "Theorie Schenk" beziehungsweise Karikaturen davon.
gemeinfrei

Heute fallen solche Ratschläge in die Kategorie Humbug. Man weiß natürlich längst, dass bei Menschen und anderen Säugetieren das X- beziehungsweise das Y-Chromosom des väterlichen Spermiums, das die Eizelle befruchtet, für das Geschlecht sorgt und Umweltfaktoren wie Ernährung keine Rolle spielen. Damals allerdings standen einige Grundannahmen von Schenks Theorie durchaus in Übereinstimmung mit medizinischen Ansichten der Zeit: So glaubte man Ende des 19. Jahrhunderts vielfach, dass zu viel Zucker die Reifung der Eizelle verlangsamen würde.

Opfer der Karikaturisten

Mit seinem Buch – kurze Zeit später erschien auch eine englische Übersetzung – erregte Schenk national und international Aufsehen. Er wurde auch von der Zarenfamilie konsultiert, um endlich für männlichen Nachwuchs zu sorgen. Der zweifelhafte Ruhm machte ihn aber auch zum Gespött der damals meist antisemitischen Satireblätter wie des "Kikeriki", die Karikaturen abdruckten – und dabei auch auf seine eigene Familie bezogen:

Karikatur Schenks und seiner – in Wirklichkeit nicht so großen – Bubenschar in der antisemitischen Satirezeitschrift "Kikeriki" vom 16.1.1898.
ANNO/ÖNB

Gleichzeitig strengte die Universität Wien ein Disziplinarverfahren gegen Schenk an, das von der Ärztekammer initiiert worden war. Dem Mediziner wurde unter anderem zur Last gelegt, seine Theorie nicht ausreichend empirisch abgesichert zu haben und mit seiner wissenschaftlichen Publikation zu früh an die Öffentlichkeit gegangen zu sein. Außerdem seien seine fragwürdigen Erkenntnisse in einem nichtmedizinischen Verlag publiziert worden, und er habe – trotz des damaligen Werbeverbots für Ärzte – in unlauterer Weise Reklame für sich gemacht.

Stark überlagert war das Disziplinarverfahren vom damaligen Antisemitismus, der zur Zeit Karl Luegers – zumal in den Satireblättern – fröhliche Urstände feierte. Dass mit Carl Toldt ein deutschnationaler Anatom das Disziplinarverfahren leitete, spricht dafür, dass dieses auch antisemitisch motiviert war, was Buklijas gut herausarbeitet. Der selbstbewusste jüdische Aufsteiger war der Fakultät ein Dorn im Auge. Buklijas weist aber auch darauf hin, dass zur Zeit um 1900 die "seriöse" Medizin vor der Herausforderung stand, sich vor allzu viel Öffentlichkeit und Reklame abzugrenzen.

Übermäßig harte Bestrafung

Schenk hatte damit gleich mehrfach gegen die "Reinheit" der medizinischen Fakultät verstoßen, um es mit der Sozialanthropologin Mary Douglas zu formulieren: mit seiner Herkunft aus armen jüdischen Verhältnissen gegen die soziale Ordnung und mit seiner "Theorie" gegen die Reinheit der Forschung und ihrer Vermittlung. Und man darf vermuten, dass in den Augen der damaligen Mediziner das eine viel mit dem anderen zu tun hatte, Stichwort "jüdische Geschäftemacherei".

Faktum war jedenfalls, dass Schenk als Folge des Disziplinarverfahrens zwangspensioniert wurde – eine auffallend harte Strafe für ein vergleichsweise harmloses Vergehen, wie auch schon die Rechtshistorikerin Kamila Staudigl-Ciechowicz (Uni Wien) in ihrer 2017 erschienenen Dissertation analysiert hatte.

Nur wenige Jahre nach seiner Pensionierung starb Schenk 1902 im Alter von nur 62 Jahren im weststeirischen Kurort Schwanberg, wo er auch begraben ist. Der Embryologe hinterließ eine Witwe sowie vier Söhne, die alle erfolgreich studierten. Einer davon war der zum katholischen Glauben konvertierte Eugen Schenk, der Vater des im Juni 1930 geborenen Otto Schenk.

Dessen wichtigste Bezugsperson in der Kindheit war wiederum die Großmutter Rosalia, Samuel Leopold Schenks Frau. Eugens Bruder Fritz wiederum folgte dem Vater nach und schlug eine Medizinerkarriere ein. Er brachte es zum Universitätsdozenten und hatte eine Zahnarztpraxis im 9. Bezirk.

Schicksale nach 1938

Nach dem "Anschluss" im März 1938 verlor Ottos Vater wegen der Nürnberger Gesetze seine Stellung als Jurist. Eine weitere Verfolgung durch die Nationalsozialisten unterblieb, weil er durch die Ehe mit einer – in der NS-Terminologie – "Arierin" geschützt war. Otto Schenk musste dem "Jungvolk" beitreten, wurde aber später als "Mischling" wieder ausgeschlossen.

Mit diesem Schreiben sicherte sich die NSDAP das Vermögen von Otto Schenks Onkel Fritz, der in Theresienstadt in den Tod getrieben worden war.
Ausschnitt aus der Publikation "Bedrohte Intelligenz" (2015) / ÖStA

Schlimmer für ihn war aber der Verlust der mittlerweile 90-jährigen Großmutter. Sie wurde gemeinsam mit ihrem Sohn Fritz, bei dem sie gewohnt hatte, von den Nationalsozialisten Ende Juli 1942 ins KZ/Ghetto Theresienstadt deportiert. Etwas mehr als zwei Wochen später waren beide tot.

Das "volks- und staatsfeindliche Vermögen" von Fritz Schenk wurde zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen. Und für Otto Schenk war, wie er in einem seiner Geburtstagsinterviews erklärte, nach dem Tod seiner Großmutter mit einem Schlag die Kindheit zu Ende. (Klaus Taschwer, 6. 7. 2020)