Chinas Sicherheitsgesetz stößt auf weltweite Kritik.

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Britische Staatsbürgerschaft für die Einwohner von Hongkong? Als das Thema zuletzt diskutiert wurde, waren sich Regierung und Opposition rasch einig: Die Bevölkerung der dicht besiedelten, gerade erst einer Wirtschaftskrise entkommenen Insel könne die Einwanderung von bis zu drei Millionen Menschen nicht verkraften. Ein Vierteljahrhundert später herrscht erneut Einigkeit: Premier Boris Johnson handelte richtig mit seiner Offerte an die Bewohner der früheren britischen Kronkolonie, sie dürften – falls gewünscht – ins ferne Europa übersiedeln.

Die Einführung des neuen Sicherheitsgesetzes für Hongkong durch die nationalkommunistische Diktatur in Peking, sagte Johnson am Mittwoch im Unterhaus, stelle "einen eindeutigen und ernsten Verstoß" gegen die Gemeinsame Erklärung von 1984 dar. Damals einigten sich Großbritannien und China auf die friedliche Übergabe aller Territorien am 1. Juli 1997 und eine Garantie für Hongkongs politische und wirtschaftliche Autonomie.

Geänderte Sichtweise

Damit soll es nach dem Willen der Pekinger Machthaber um Präsident Xi Jinping nun vorbei sein, ebenso wie mit Chinas außenpolitischer Zurückhaltung. Die Drohungen gegenüber Taiwan, die blutigen Übergriffe auf indisches Territorium im Himalaya, der Wirtschaftskrieg gegen Australien – all diese Faktoren haben dazu beigetragen, die britische Sichtweise auf die asiatische Supermacht komplett zu verändern.

Nicht einmal Nationalpopulist Nigel Farage, den jedes winzige Flüchtlingsboot in helle Aufregung versetzt, mochte Johnsons Versprechen an die Hongkong-Chinesen kritisieren. Ausdrücklich bekannte sich auch die im Unterhaus vertretene Opposition zu der Maßnahme, die dem Marktforscher Yougov zufolge von 64 Prozent der Briten unterstützt wird. Labours außenpolitische Sprecherin Lisa Nandy ging sogar deutlich weiter: Das Land brauche "viel größere strategische Unabhängigkeit" von China. Deshalb müsse das Engagement halbstaatlicher Firmen beim Bau neuer Atomkraftwerke sowie im geplanten 5G-Mobilfunk beendet werden. Insbesondere beim Telekomgiganten Huawei befürchten Kritiker eine unzureichende Abgrenzung gegenüber dem Regime, weshalb chinesischer Spionage Tür und Tor geöffnet werde.

"Verfassungsputsch"

In Bezug auf Hongkong spricht der Sprecher der globalen China-Parlamentarierallianz IPAC und frühere Tory-Parteichef Iain Duncan Smith von einem "Verfassungsputsch". Pekings Zugriff auf die frühere Kronkolonie sei vergleichbar mit Hitler-Deutschlands Einmarsch ins entmilitarisierte Rheinland: Der Westen stehe "wie 1936 vor einem Beispiel "atemberaubend autoritären" Benehmens.

Demokratieaktivist Nathan Law floh am Donnerstag aus der Sonderverwaltungszone.
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Die große Rhetorik bleibt billig, solange ihr keine wirksamen Taten folgen – und an der Wirksamkeit des Staatsbürgerversprechens gibt es erhebliche Zweifel. Denn noch immer gelten die Argumente, mit denen der letzte Gouverneur Hongkongs 1995 vergeblich für die Rechte seiner Untertanen warb. "Da stehen nicht plötzlich drei Millionen Hongkonger Bürger auf dem Flughafen Heathrow", sagte Chris Patten damals und fügte hinzu: "Aber selbst wenn, dann würden sie nicht den Sozialstaat in Anspruch nehmen."

Britische Bürger in Übersee

Tatsächlich gelten Chinesen, und die Einwohner Hongkongs zumal, auf der Insel als fleißig und unternehmerisch begabt. In der Bildungsstatistik konkurrieren sie mit Einwanderern aus Indien um Platz eins, weit vor der einheimischen weißen Bevölkerung. Zudem stellt die einstige Kolonialmacht im fernen Europa mit ihren wirtschaftlichen Problemen und der Brexit-Unsicherheit keineswegs die erste Wahl dar für auswanderungswillige Hongkonger. Sie dürften eher nach Kanada oder Australien orientiert sein, wenn sie nicht im wirtschaftlich boomenden Südostasien bleiben wollen.

Rund 350.000 Menschen besitzen einen jener Pässe als "Britische Bürger in Übersee" (BNO), die vor 1997 in Hongkong ausgegeben wurden. Johnsons Versprechen bezieht sich auf deren Abkömmlinge, Schätzungen zufolge bis zu drei Millionen Hongkonger. Statt wie bisher höchstens sechs Monate dürfen sie zukünftig fünf Jahre in Großbritannien studieren und arbeiten. Nach einem weiteren Jahr könnten sie sich um die volle Staatsbürgerschaft bewerben. Die Regelung ist deutlich großzügiger als das neue Einwanderungssystem, mit dem die Personenfreizügigkeit gegenüber EU-Bürgern beendet wird.

Mit violetten Bannern sollen Demonstranten ermahnt werden.

Allerdings bleibt Londons Handlungsspielraum begrenzt, sollte Peking den Bürgern der Kronkolonie die Ausreise verweigern. Dies drohte die chinesische Botschaft in London am Donnerstag an – Reaktion auf die Einberufung des Botschafters ins Foreign Office, wo ihm der offizielle Protest der britischen Regierung gegen die Einführung des Sicherheitsgesetzes übermittelt wurde. Man müsse realistisch bleiben, räumte Außenminister Dominic Raab später im Fernsehen ein: "Wir können China nicht zwingen."

Auch Australien will helfen

Auch die australische Regierung erwägt die Vergabe von Sonder-Visa an Bürger Hongkongs. Premierminister Scott Morrison sagt, seine Regierung denke "sehr aktiv" über Möglichkeiten nach, Hongkongern Schutz zu bieten. Eine Ankündigung werde es erst geben, wenn eine Entscheidung gefallen sei, sagte Morrison. "Aber wenn Sie fragen, ob wir bereit sind, uns zu engagieren und Unterstützung zu leisten, dann ist die Antwort Ja", ergänzte der Premier.

Laut "Guardian" sei unter anderem noch die Frage offen, ob auch ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht gewährt werden soll. China hat Australiens Vorstoß noch nicht kommentiert.

Reporter ohne Grenzen warnen, USA setzt Sanktionen

Zu Wort meldete sich hingegen die Organisation Reporter ohne Grenzen. Sie warnte vor Gefahren für Journalisten weltweit durch das neue Gesetz. "Es gibt China die Möglichkeit, Journalisten in Hongkong unter dem Anschein der Legalität zu belästigen und zu bestrafen", sagte Cedric Alviani, Ostasienchef der Organisation, am Donnerstag.

Das Gesetz erlaube es China, Medienschaffende im Ausland mit Haft zu bedrohen und einzuschüchtern. Die "grotesken Vorschriften" seien völlig vage und offen für willkürliche Interpretationen. Die Organisation forderte Regierungen weltweit auf, gegen Peking vorzugehen.

Auch der US-Kongress hat Sanktionen gegen Unterstützer der neuen Hongkong-Politik auf den Weg gebracht. Nach dem Repräsentantenhaus verabschiedete am Donnerstag auch der Senat ein Gesetz, das Strafmaßnahmen gegen Personen vorsieht, die Chinas Sicherheitsgesetz umsetzen. Sanktioniert werden sollen auch Banken, die mit diesen Personen Geschäfte machen. US-Präsident Donald Trump muss das Gesetz noch unterzeichnen, damit es in Kraft treten kann. (Sebastian Borger, APA, Reuters, 2.7.2020)