Davor Bernardić im Jänner.

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STANDARD: Falls ihre Neustart-Koalition am 5. Juli die Wahlen gewinnt, gehen Sie lieber in eine Koalition mit der konservativen HDZ oder mit der rechtspopulistischen Heimatbewegung von Miroslav Škoro?

Bernardić: Eine Koalition mit der HDZ oder Škoro kommt nicht infrage. Wir wären lieber die Opposition, als mit einer der beiden Parteien eine Regierung zu bilden. Denn wir können die Wahlen verlieren, aber wir dürfen und können nicht unsere Würde verlieren.

STANDARD: Kann die Heimatbewegung zu einer neuen etablierten dritten Kraft werden, so wie die FPÖ in Österreich oder die AfD in Deutschland?

Bernardić: Das erwarte ich nicht. In Kroatien können solche Kräfte trotz allem keine nennenswerte Unterstützung durch die Wähler erhalten. Sie erklären sich nicht einmal öffentlich als rechtsextrem, sondern versuchen sich als sogenannter "dritter Weg" zu präsentieren, um unzufriedene Wähler aus dem politischen Zentrum oder sogar der Linken anzuziehen.

STANDARD: In Österreich wuchs die FPÖ, während es eine große Koalition zwischen Sozialdemokraten und der konservativen Partei gab. Ist es besser, Rechtspopulisten an der Macht zu haben, um sie klein zu halten?

Bernardić: Ich weiß nicht, wie Rechtspopulisten in Kroatien überhaupt in die Regierung kommen können. Die Ideen, die sie vertreten, können in der kroatischen Gesellschaft nicht bestehen. Ein allgemeines Abtreibungsverbot, die Verleugnung der antifaschistischen Bewegung oder die allgemeine Wiederbelebung des Ustaša-Regimes mögen die Ideen sein, mit denen sich ein bestimmter Prozentsatz der Bevölkerung identifiziert, aber dieser Prozentsatz ist immer noch sehr niedrig – viel niedriger, als man aus dem heutigen Blick auf Kroatien schließen könnte. Obwohl das eine laute, sehr laute Minderheit und auch aus weiter Ferne zu hören ist, ist es immer noch eine Minderheit und ziemlich marginal.

STANDARD: Kroatien droht aufgrund der Covid-19-Krise ein Minus von zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Und die Staatsverschuldung könnte um weitere 14 Prozent steigen. Sie liegt bereits bei rund 74 Prozent. Was sind Ihre Prioritäten bei den öffentlichen Ausgaben nach der Krise?

Bernardić: Ein weiterer Ausbruch des Virus könnte sich noch negativer auf den Tourismus und alle damit verbundenen wirtschaftlichen Aktivitäten auswirken, was die Krise in Kroatien verschlimmern würde. Noch vor der durch die Covid-19-Pandemie verursachten Wirtschaftskrise schätzte die kroatische Nationalbank, dass die Staatsverschuldung auf 90 Prozent des BIP steigen könnte, was natürlich Anlass zur Sorge gibt und zeigt, dass der Staat bis zum Ende des Jahres einen großen Kreditbedarf hat. Unser erstes Ziel ist, die Folgen der Krise zu beseitigen, Arbeitsplätze zu erhalten und den Standard der am stärksten gefährdeten Gruppen in der Gesellschaft zu schützen, bei denen es sich hauptsächlich um Pensionisten, sozial gefährdete Bürger und Arbeitslose handelt. Sobald wir diese Krise überwunden haben, wird der Anstieg von Pensionen und Gehältern unsere Priorität sein.

STANDARD: Sie haben auch angekündigt, dass der Staat weniger an Unternehmen beteiligt sein sollte. Wie soll das aussehen?

Bernardić: Kroatien ist ein überreguliertes Land. Einige Vorschriften, die es seit vielen Jahrzehnten gibt, werden für die Industrie und die Märkte des 21. Jahrhunderts einfach nicht mehr benötigt. Wir werden mit den Unternehmern und Investoren sprechen, problematische Vorschriften identifizieren, neu bewerten und dann die veraltete Gesetzgebung verwerfen oder ändern. Die Interessen von Selbstständigen, Handwerkern, Kleinst- und Kleinunternehmen sollen getrennt bewertet und berücksichtigt werden, wenn wir neue Vorschriften einführen müssen. Wir wollen den Leuten unnötige Berichts- und Verwaltungsarbeiten ersparen, indem wir den Datenaustausch automatisieren. Diese Digitalisierungsbemühungen werden enorme Auswirkungen auf alle traditionellen kroatischen Schwachstellen haben: Verwaltungseffizienz, Offenheit der Regierung, Transparenz und Korruptionsbekämpfung sowie auf die Justiz.

STANDARD: Was kann Kroatien tun, um die Auswanderung qualifizierter Arbeitskräfte nach Deutschland zu vermeiden? Es mangelt bereits an Ärzten und Krankenschwestern.

Bernardić: Die Auswanderung qualifizierter Arbeitskräfte, die in Kroatien ausgebildet wurden, hat bereits weitgehend stattgefunden, sodass ich nicht davon ausgehe, dass sich der Trend fortsetzt, obwohl unsere Bürger natürlich weiterhin auswandern werden. Leider sind allein in den letzten vier Jahren 150.000 junge und gebildete Menschen emigriert. Und das war nicht einmal das größte Problem. Schlimmer ist, dass es keine Migration in die entgegengesetzte Richtung gibt, aber die zukünftige Migrationspolitik darauf basieren muss. Wir möchten, dass Kroatien nicht nur für unsere Rückkehrer attraktiv wird, sondern auch für qualifizierte Arbeitskräfte aus Europa und der Welt, die mit ihrer Ankunft die Wettbewerbsfähigkeit der Produktion steigern und die Standards für das Gesundheitswesen und ähnliche Dienstleistungen erhöhen könnten.

STANDARD: In Österreich gibt es eine Debatte darüber, dass das Gedenken in Bleiburg an die Verbrechen von Partisanen abgeschafft werden sollte, und es gibt Überlegungen, dass ein künftiges Gedenken dort stattfinden sollte, wo die Verbrechen tatsächlich stattgefunden haben, beispielsweise in der Nähe von Maribor oder in Macelj. Was halten Sie davon, und wer sollte für das Gedenken verantwortlich sein? Bisher wurde es von rechtsextremen Gruppen organisiert.

Bernardić: In erster Linie denke ich, dass es Zeit ist, die immer wiederkehrende Debatte über den Zweiten Weltkrieg zu beenden, die nur dazu dient, Revisionismus oder Tagespolitik zu betreiben. Es gibt nichts zu diskutieren. Im Zweiten Weltkrieg wurde, zum Glück für die gesamte Menschheit, der Faschismus besiegt, und die antifaschistische Koalition, zu der auch die kroatische Partisanenarmee gehörte, war auf der Gewinnerseite des schrecklichsten Krieges in der Geschichte. Der Antifaschismus ist und war die einzig richtige Antwort auf jede Frage zum Zweiten Weltkrieg und wird es immer sein. Leider ereigneten sich nach dem Zweiten Weltkrieg einzelne oder organisierte Racheakte gegen die Besiegten. In Bezug auf das Gedenken waren alle Opfer des Krieges unnötige Opfer, und alle Opfer verdienen es, respektvoll erinnert zu werden. Ich glaube aber, dass Österreich nicht der Ort eines solchen Gedenkens sein sollte – falls es einen Ort braucht –, weil die Verbrechen auf dem Territorium Sloweniens und Kroatiens stattgefunden haben. Definitiv inakzeptabel ist aber, dass das Gedenken faschistische oder Ustaša-Symbole enthält. Wenn es ein Gedenken gibt, sollte es faschismusfrei sein. Diese faschistischen Symbole sind eine Schande und zeigen große Respektlosigkeit gegenüber den Menschen, die gestorben sind, sei es während des Zweiten Weltkriegs oder in der Folge, sei es auf der einen oder der anderen Seite.

STANDARD: Kroatien hat das Grenzproblem mit Slowenien immer noch nicht gelöst. Wie sollen die Beziehungen zu Ihren Nachbarn nach vier Jahren aussehen?

Bernardić: Die Grenzen innerhalb der EU sind eine Verwaltungsangelegenheit, daher sehe ich keinen Grund für Streitigkeiten zwischen Nachbarn, vor allem nicht mit Nachbarn, mit denen wir seit mehr als 500 Jahren solche Verwaltungsgrenzen haben.

STANDARD: Der US-Gesandte Richard Grenell mischt sich offen in Südosteuropa ein und strebt einen "Deal" zwischen dem Kosovo und Serbien an. Wie soll Europa darauf reagieren?

Bernardić: Leider hat auch Europa schlecht auf Serbien und den Kosovo reagiert. Der Kosovo erklärte die Unabhängigkeit und wurde auch von Kroatien anerkannt, aber selbst nach vielen Jahren wurde diese Unabhängigkeitserklärung weltweit nicht anerkannt, noch nicht einmal innerhalb aller EU-Mitglieder. Es gibt also ein großes Problem und einen offenen potenziellen Krisen-Hotspot in Südosteuropa. Das Problem wird gelöst, wenn sowohl Serbien als auch der Kosovo Mitglieder der EU und der Nato werden, und ich hoffe, dass Kroatien die Gelegenheit erhält, ihren Weg nachdrücklich zu unterstützen. Dies sollte auch im Interesse der EU liegen, da dies eine Eskalation von Unruhen verhindern würde. (Adelheid Wölfl, 3.7.2020)