Im Wildgarten in Wien bauen mehrere Baugruppen. Willdawohnen will heuer zu Weihnachten einziehen.

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Die "HausWirtschaft" ist im Nordbahnviertel geplant, Interessenten sind willkommen.

Visualisierung: einszueins Architektur / die HausWirtschaft

Ganz langsam segeln viele, viele knallbunte Luftballons vom obersten Stockwerk im Stiegenhaus hinunter, während alle bei offenen Haustüren "Happy Birthday" singen: Das Video zeigt, wie ein Kindergeburtstag inmitten des Corona-Lockdowns in der Baugruppe Seestern in der Seestadt Aspern ablief. Mit Abstand, aber gemeinsam: So lässt sich der Versuch vieler gemeinschaftlicher Wohnprojekte beschreiben, durch die Corona-Krise zu kommen.

Baugruppen bauen gemeinsam ein Haus. Sie setzen auf ein vielfältiges Gemeinschaftsleben und auf Gemeinschaftsflächen. Zu Beginn des Lockdowns gab es viel Unsicherheit dazu, ob und wie diese weiterhin genutzt werden können, berichtet Philipp Naderer-Puiu von der Baugruppe Seestern. Letztendlich habe man sich entschieden, Überschneidungen auf Gemeinschaftsflächen zu vermeiden, stark auf Hygiene zu achten und viel zu lüften. Ältere Bewohner hielten sich auf anderen Gemeinschaftsflächen auf als Familien mit Kindern. Zudem habe es viel nachbarschaftliche Unterstützung gegeben, erzählt Naderer-Puiu – in Notfällen bei der Kinderbetreuung, beim Einkaufen oder wenn das Internet im Homeoffice nicht funktionierte.

So sei man nicht völlig von sozialen Kontakten abgeschnitten gewesen. Wobei es natürlich auch Konflikte gegeben habe: "In einem Wohnprojekt gibt es die gleiche Vielfalt an Meinungen wie in der allgemeinen Bevölkerung", sagt Naderer-Puiu. "Nur muss man sich beim Wohnen halt irgendwo in der Mitte treffen."

Naderer-Puiu ist von der Idee des gemeinschaftlichen Wohnens nach wie vor so überzeugt, dass er auch beim Projekt "HausWirtschaft", einem in Planung befindlichen Baugruppen-Projekt beim Wiener Nordbahnviertel, bei dem nicht nur Wohn-, sondern auch Gewerbeflächen entstehen, mit an Bord ist. Die Baugruppe sucht derzeit noch nach Mitgliedern.

Baustelle stand still

Vier freie Wohnungen gibt es auch beim bereits in Bau befindlichen Baugruppen-Projekt von Willdawohnen im Wohnquartier Wildgarten an der Grenze vom zwölften zum 23. Bezirk in Wien noch. Mit dem Beginn der Corona-Krise habe es in der Baugruppe eine "Riesenverunsicherung" gegeben, berichtet Mitglied Juliane Schiel. Die Baustelle stand mehrere Wochen still, während man auf der Suche nach neuen Mitgliedern war. Gleichzeitig wurden bestehende Mitglieder von der Krise hart getroffen. "Unsere große Angst war, dass jemand aus wirtschaftlichen Gründen abspringen muss", so Schiel.

Doch am Ende ging alles gut: Die Baustelle kam wieder ins Laufen, alle bestehenden Mitglieder konnten an Bord bleiben – und während der Corona-Krise wurden sogar zwei neue Mitglieder gefunden. Die regelmäßigen Informationsabende für Interessenten wurden zu virtuellen Meetings – mit Erfolg: "Früher haben sich für unsere Informationsabende 20 Leute angemeldet, und ein paar sind gekommen", so Schiel. Im virtuellen Bereich kamen plötzlich mehr. Vielleicht gerade wegen Corona: "Viele haben in dieser Zeit sehr grundsätzlich darüber nachgedacht, wie sie wohnen und wie es ihnen damit geht", glaubt Schiel. Die Informationsabende will man weiter virtuell veranstalten. Zusätzlich werden Baustellenspaziergänge angeboten.

Auch die Baugruppe KooWo in Volkersdorf bei Graz, die vor rund einem Jahr eingezogen ist, hat in der Corona-Krise eine Lösung gefunden. Die Gruppe hat sich gemeinschaftlich unter Quarantäne gestellt, erzählt Sprecherin Michaela Urabl: "Wir haben schnell erkannt, dass es unmöglich ist, die Kinder voneinander fernzuhalten." Der Kontakt nach außen wurde reduziert, eine ohnehin geplante Food-Coop aufgebaut, die Nachbarschaftshilfe beispielsweise für ältere Bewohner forciert.

Positive Aspekte

Treffen finden weiter nur im Freien statt, öffentliche Events – etwa einen Tag der offenen Tür – wird es heuer nicht geben. Das habe auch einen positiven Aspekt, so Urabl: "So haben wir mehr Zeit, uns einzuleben", sagt sie. Juliane Schiel von Willdawohnen kann der Zeit ebenfalls Positives abgewinnen. Die Baugruppe sei dadurch noch mehr zusammengewachsen: "Diese Verunsicherung hat den offenen Austausch über Ängste und Befürchtungen befördert."

Auch die Grazer Wohnbauforscherin Andrea Jany ist davon überzeugt, dass soziale Einbindung ein wichtiger Schlüssel zur Wohnzufriedenheit ist – und Corona ein Boost für gemeinschaftliche Projekte sein wird. Denn gute Nachbarschaft zahlt sich nicht nur bei den ganz großen globalen Krisen aus. Sondern auch, wenn einem beim Backen einmal der Zucker ausgeht. (Franziska Zoidl, 3.7.2020)