Es ist ein 4. Juli, wie es ihn lange nicht gab. Wenn die Amerikaner ihre Unabhängigkeit feiern, was sie normalerweise mit ausgelassenen Paraden und im Bratenduft unzähliger Grillpartys tun, steht der sonst so fröhliche "Fourth of July" diesmal im Zeichen akuter Verunsicherung. Das Land hat das Coronavirus nicht unter Kontrolle. Mehr noch, es hat den Anschein, als habe seine Regierung stillschweigend kapituliert vor dem Virus.

Derzeit werden täglich fast 50.000 neue Infektionen bestätigt, mehr als im April, als die Epidemie in den USA ihren Höhepunkt erreicht zu haben schien. Allein durch eine Ausweitung der Tests, wie es Präsident Donald Trump zu begründen versucht, lässt sich der Anstieg nicht erklären. Was sich rächt, ist die vielerorts überhastete Rückkehr zur Normalität, die allzu rasche Öffnung der Wirtschaft, auch wenn es schwerfiel, angesichts eher grobmaschiger sozialer Netze auf Alternativen zu setzen. Deshalb steigen die Fallzahlen in Bundesstaaten, die im Frühjahr noch relativ glimpflich davongekommen waren.

Durch eine Ausweitung der Tests, wie es Präsident Donald Trump zu begründen versucht, lässt sich der Anstieg der Neuinfektionen nicht erklären.
Foto: Doug Mills via www.imago-images.de

Hiobsbotschaften aus republikanischen Hochburgen

Damals waren die Ballungsräume des Nordostens, mit dem Zentrum New York, die Hotspots der Krise: urbane Regionen, in denen in aller Regel Demokraten die Gouverneure und Bürgermeister stellten. Jetzt kommen die Hiobsbotschaften, abgesehen von einem schweren Rückfall in Kalifornien, aus Staaten wie Texas, Florida, Arizona und South Carolina, wo die Republikaner politisch den Ton angeben. Damit hat die Pandemie das republikanische Amerika in ganzer Härte erfasst, nachdem dieses eine Weile so getan hatte, als wäre alles nur Panikmache, eine perfide Masche der Opposition, um dem Mann im Weißen Haus zu schaden.

Anthony Fauci, der angesehenste Epidemiologe des Landes, hat auf den Punkt gebracht, was den neuen Höchstständen zugrunde liegt. Bei einer Anhörung im Kongress sprach er vom Alles-oder-nicht-Phänomen, das er zu seinem Leidwesen beobachte. Solange ein Lockdown verfügt sei, akzeptiere man das. Wo gelockert werde, verbreite sich indes schnell das Gefühl, man könne sich nunmehr sorglos in Kneipen setzen, sich sorglos in größere Menschenansammlungen begeben und das Maskengebot so selbstverständlich ignorieren wie die Abstandsregeln. Kleine Schritte gehen? Sich vorsichtig vortasten? Fehlanzeige. Entweder alles oder nichts – so beklagt es Fauci.

Wahlkampfrhetorik

Ein Präsident, der die Lage in manchen Reden skizziert, als sei die Causa Corona abgehakt, als müsse sich alles sofort wieder normalisieren, hat ohne Zweifel zur Malaise beigetragen. Als er neulich in einer Megakirche in Phoenix vor jungen Anhängern sprach, die meisten ohne Mund-Nasen-Schutz, machte er einmal mehr klar, dass er die Dinge allein durch die politische Brille sieht. Die Opposition, behauptete er, tue alles, um die Wirtschaft am Boden zu halten. Ihr gehe es nur darum, die Ökonomie und damit seine Wiederwahlchancen zu sabotieren.

So unsinnig das ist, so gründlich könnte es die Wahlkampfrhetorik der kommenden Wochen prägen. Trump wird vor keiner Verbalattacke zurückschrecken, um die drohende Niederlage noch abzuwenden. Denn momentan sieht es nach einem Debakel für ihn aus. Die Website Real Clear Politics hat Durchschnittswerte aller Umfragen veröffentlicht, nach denen der Herausforderer Joe Biden mit gut neun Prozentpunkten führt. Vor vier Jahren gewann Trump die Wahl, weil er in Rust-Belt-Staaten wie Michigan, Pennsylvania und Wisconsin knapp die Nase vorn hatte. Nun liegt er in allen drei Staaten deutlich hinter seinem Rivalen, zudem auch in Florida, dem klassischen Swing State, in dem es oft auf Messers Schneide steht.

Daraus abzuleiten, dass sich Biden auf der Siegerstraße befindet, wäre zumindest verfrüht, wenn nicht töricht. Schon 2016, nach der Veröffentlichung eines Tonbandmitschnitts, in dem er sich damit brüstete, Frauen ungestraft in den Schritt fassen zu können, hat Trump bewiesen, dass ein Zwischenstand, der ihn auf scheinbar verlorenem Posten sieht, am Ende nichts bedeuten muss. Die Crux im Jahr 2020 ist die: Gerade ältere Wähler, die er mit der Nostalgie seines "Make America Great Again" für sich einzunehmen verstand, könnten sich ernüchtert von ihm abwenden, sollte sich der Eindruck verfestigen, dass dieser Präsident Corona-Beschränkungen für eine Zumutung hält. Ob gerade sie ihm die Rechnung für ein katastrophales Krisenmanagement präsentieren – man wird es am 3. November sehen. (Frank Herrmann, 2.7.2020)