Es beginnt, wie oft üblich, im Kleinen. Ein Foto ist gelungen, stimmig, aber im Detail stört einen eine Kleinigkeit. Man hellt es auf, man bearbeitet es. Das nächste Mal stört einen ein im Vordergrund platziertes Verkehrsschild, ein Arm, ein Haarschopf. Ein Pickel? Man retuschiert den Makel weg. Was im Privaten absolut in Ordnung und in der Werbung gang und gäbe ist, bekommt in der Pressefotografie eine ganz andere Dimension. Denn vom harmlosen kosmetischen Retuschieren bis zur Fälschung ist es nicht weit. Im Journalismus hat man der Realität nichts hinzuzufügen oder wegzunehmen, nur weil es einem nicht in Optik und Konzept passt; oder ins vorgefasste Bild. Was harmlos mit "Verschönerungen" vom Kollegen Photoshop beginnt, mündet schnell in Unwahrheit. Da werden Köpfe zusammengerückt, farbige Hintergründe verlängert, dass es eine Freude ist. Der schöne Schein der Inszenierung siegt über den Inhalt, nicht nur bei Yellow Press und Donald T. – von "alternativen Fakten", "Fake" und den üblichen Usancen der so called Social Media ganz zu schweigen.

Oriol Verlag

In der Geschichtsforschung beweisen zahlreiche Fälle, dass unliebsame gewordene Personen von Fotos entfernt, andere in historische Ereignisse hinzugefügt wurden. Keineswegs nur in Diktaturen und von volatilen Revolutionsgarden.

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Provokant im Sinne der Klage erscheinen in diesem Zusammenhang die beiden hochaktuellen Publikationen von Christoph Zulehner. In "Art of Fake" und "Make the Fake" beschreibt er kleine Schummeleien, Hochstapeleien, Lancieren von Eventualitäten und vage Ungenauigkeiten, die zu großem Erfolg geführt haben. Äußerst amüsant lesen sich seine Recherchen über Bill Gates, Springsteen, Hoermannseder, la Schiapiarelli et alii. Kein Betrug, mehr Schein als Sein. "Die Philosophie des ,Als ob‘" lautet augenzwinkernd sein Credo der Täuschung. Wer bigott Skandal schreit, sollte vorher zwischen Zeilen lesen.

"Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar", schrieb seinerzeit Ingeborg Bachmann. In Bezug auf Journalismus, insbesondere Qualitätsjournalismus ist man objektiv der Wahrheit verpflichtet. Insofern ist die Wahrheit nicht nur zumutbar, vielmehr hat die Leserschaft ein Recht auf die reine Wahrheit. Abseits leerer Worthülsen und Fotoboxen. (Gregor Auenhammer, 2.7.2020)