Weltweit wird seit Bekanntwerden der Lager für die Rechte der Uiguren demonstriert, hier in Amsterdam.

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Es dürfte ein gruseliger Fund gewesen sein, wenn der Verdacht richtig ist. Anfang der Woche beschlagnahmten die US-Zollbehörden 13 Tonnen Perücken der Firma Lop County Meixin Hair Product im Wert von 800.000 US-Dollar – gefertigt aus Menschenhaar. Dass Perücken oft aus Echthaar hergestellt werden, ist nicht ungewöhnlich. Allerdings verkaufen die Personen ihr Haar in der Regel freiwillig. Davon ist bei der beschlagnahmten Lieferung nicht auszugehen: Denn die Perücken sollen aus den Arbeitslagern der chinesischen Westprovinz Xinjiang stammen.

Peking unterhält dort seit Jahren Lager, in denen hunderttausende Uiguren interniert sind. Die Insassen müssen dort Zwangsarbeit verrichten, Chinesisch lernen und werden mit chinesischer Propaganda indoktriniert. Informationen darüber drangen zunächst nur zaghaft nach außen, bis Ende 2019 einige interne Dokumente an die Öffentlichkeit gelangten, die Existenz und Ausmaß des Lagersystems belegen. Die Führung in Peking selbst spricht von "Ausbildungszentren", in denen Uiguren vom "Virus des radikalen Islam" geheilt werden.

Brenda Smith, Vizebeauftragte für Handelsangelegenheiten bei der US-Zollbehörde CBP, sagte, die Produktion dieser Waren stelle einen "sehr schweren Menschenrechtsverstoß" dar. Am Mittwoch warnte die US-Behörde für Handel- und Heimatschutz zudem US-Firmen, Güter zu importieren, die durch Zwangsarbeit in Xinjiang hergestellt wurden.

Zwang und Gewalt

Wenige Tage zuvor war bekannt geworden, dass die kommunistische Führung in den vergangenen Jahren hunderttausende uigurische Frauen zwangssterilisiert hatte. Dies hatten die Nachrichtenagentur AP sowie der Xinjiang-Experte Adrian Zenz recherchiert. Demnach ließen die Behörden uigurische Frauen auf Schwangerschaften untersuchen, zwangen diese zu Abtreibungen und führten Sterilisierungen gegen ihren Willen durch. Im selben Zeitraum wurden die Ein-Kind-Politik und andere Maßnahmen zur Geburtenkontrolle in anderen Landesteilen gelockert oder abgeschafft. Zenz sprach deswegen von einem "demografischen Genozid".

Die Geburtenrate in der Provinz Xinjiang fiel 2019 um 24 Prozent – verglichen mit dem landesweiten Durchschnitt von 4,2 Prozent. Noch drastischer ist der Rückgang in den Regionen der Westprovinz, in denen Uiguren noch die Bevölkerungsmehrheit stellen: So gingen die Geburtenraten in Hotan und Kaschgar zwischen 2015 und 2018 um mehr als 60 Prozent zurück. Betroffene berichten von massiven Einschüchterungen seitens der Behörden und der Drohung, Familienmitglieder in die Arbeitslager zu deportieren.

Umstrittene Siedlungspolitik

Peking betreibt seit Jahrzehnten eine Siedlungspolitik in Xinjiang, die auf die Marginalisierung des muslimischen Turkvolks der Uiguren ausgerichtet ist. Diese stellten noch in den 1950er-Jahren die Bevölkerungsmehrheit. Durch die jahrzehntelange Ansiedlung von Han-Chinesen aus anderen Landesteilen sind die Uiguren mittlerweile zur Minderheit im eigenen Land geworden. Während Peking von islamistischen Terroristen spricht, die die Provinz unterwandert hätten, weisen Uiguren immer wieder darauf hin, dass sie an ihrer Religionsausübung gehindert und ihrer kulturellen Identität beraubt werden.

Immer wieder war es in den vergangenen Jahren auch zu gewaltsamen Aufständen und Anschlägen gekommen. 2009 starben bei Ausschreitungen zwischen Han-Chinesen und Uiguren in der Provinzhauptstadt Urumqi mehrere Menschen. 2014 töteten uigurische Extremisten am Bahnhof von Kunming 31 Menschen.

Viel internationale Duldung

Pekings rigorose Politik stößt zwar immer wieder auf internationale Kritik. Zu Konsequenzen aber kommt es aus Angst um die guten Wirtschaftsbeziehungen so gut wie nie. Die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang sind neben Hongkong eines der Streitthemen zwischen den USA und China. Laut der Nachrichtenagentur Bloomberg könnten bald weitere US-Sanktionen folgen. Diese könnten sich dann direkt gegen Mitglieder der kommunistischen Partei richten, die mit dem Lagersystem in Verbindung stehen. Sie waren zunächst zurückgehalten worden, um eine Lösung im Handelsstreit nicht zu gefährden. (Philipp Mattheis, 2.7.2020)