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Klischeehaft, aber wahrhaftig erzählt "Little Fires Everywhere" von Color-Blindness.

Foto: Hulu / Picturedesk

Als ich 1989 nach meiner Matura ein Jahr in Chicago verbrachte, war ich unendlich glücklich über meine neue Art von Freiheit, aber gleichzeitig war ich auch zutiefst schockiert über diese komplett segregierte US-Gesellschaft, die ich da vorfand. Während dort, wo ich gerade herkam, nämlich aus Europa, sehr symbolträchtig Mauern und Grenzen fielen, lernte ich schnell, dass es in dieser anderen Gesellschaft jede Menge unsichtbare Mauern gab, die umso offensichtlichere Grenzen schwarz und weiß zogen.

Ich selbst lebte während dieser Zeit in einer nördlichen – weißen – Suburb und begriff schnell die Regeln: nicht jenseits dieser oder jener Straßen gehen und nachts niemals mit dem L-Train fahren. Ich habe trotzdem beides gemacht. Das Wort "White Supremacy" gab es damals nicht, zumindest habe ich es nicht gekannt.

Während man in Suburbia also lieber unter sich blieb, lernte ich am Art Institute, wo ich damals ein Fotografiesemester machte, einen Fotografen kennen, mit dem ich viel und oft in der South Side von Chicago unterwegs war, wo der Bevölkerungsanteil der Afroamerikaner bei über 90 Prozent liegt. An diese Schwarz-Weiß-Fotos, die damals entstanden sind, muss ich heute oft denken, wenn in den österreichischen Nachrichten über Black-Lives-Matter-Proteste in den USA berichtet wird. Es hat sich in den vergangenen dreißig Jahren, die ich da überblicke, offensichtlich nichts verändert. Jetzt langsam vielleicht doch?

Wie tief Rassismus und Ressentiments, womöglich auch die eigenen, verankert sind, lässt sich dieser Tage ganz gut an einer US-amerikanischen Streaming-Serie ablesen, die genau das zum Thema hat: Rassendiskriminierung, Chancenungleichheit und "Color-Blindness", sprich: das strukturelle Übersehen von Rassismen. Little Fires Everywhere blickt zwar klischeehaft, aber dafür umso wahrhaftiger hinter sämtliche Fassaden der US-Gesellschaft.

Die Hauptdarstellerinnen Reese Witherspoon und Kerry Washington sind nicht nur Idealbesetzungen, sondern auch die Produzentinnen. Es ist großes Kino und erzählt viel über weiße Privilegien, wenn am Ende Elena Richardsons (gespielt von Witherspoon) Selbst- und Weltbild als Gutmensch in Flammen aufgeht.

Viel guter Lesestoff

Der dem zugrundeliegende Roman von Celeste Ng aus dem Jahr 2017 war 48 Wochen auf der NYT-Bestsellerliste. Dort lässt sich dieser Tage auch viel guter Lesestoff finden: When they call you a terrorist von der Aktivistin Patrisse Cullors steht ganz oben auch auf meiner Liste. Eine Art deutsche Version davon hat die junge Journalistin Alice Hasters abgeliefert: Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen.

Und am 21. Juli erscheint das Vermächtnis der großen Literatur-Nobelpreisträgerin Toni Morrison unter dem Titel Selbstachtung auf Deutsch. Dass die nigerianische Bestsellerautorin Chimamanda Ngozi Adichie und ihre Übersetzerin Judith Schwab am Donnerstag für den Roman Americanah (2013) mit dem Hesse-Preis ausgezeichnet wurden, ist ein gutes Zeichen. Und Robert, so hieß der damalige Fotograf aus Chicago, lebt übrigens schon lange in Barcelona. Unter den in den USA herrschenden Bedingungen wollte er als Schwarzer nicht leben. (Mia Eidlhuber, 5.7.2020)

Patrisse Khan-Cullors, Asha Bandele, "When they call you a terrorist". € 19 / 272 Seiten. St. Martin’s Press, 2018
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Toni Morrison, "Selbstachtung", € 24 / 368 Seiten. Rowohlt-Verlag, 2020
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Chimamanda N. Adichie, "Americanah". € 25 / 608 Seiten. S. Fischer, 2014
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Alice Hasters, "Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen". € 17 / 208 Seiten. Hanser, 2020
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