Am 28. Juni war Christopher Street Day, der an die ersten bekanntgewordenen Aufstände in der New Yorker Christopher Street gegen Polizeigewalt gegen sexuelle Minderheiten erinnert.

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Falls Sie es nicht längst geahnt haben, muss ich Sie warnen: Dieser ganze Genderdreck, den ich und andere hier veranstalten, ist teuflisch und satanisch. Zumindest wenn es nach einem Pastor aus Bremen geht, der seine Gemeinde im gleichen Atemzug vor der "Homolobby" und vor den "Verbrechern vom Christopher Street Day" warnt, die "Leute verunsichern" sowie "Kultur und Zivilisation zerstören".

Mittlerweile ist die Sache ein Fall für die Staatsanwaltschaft, die Anklage wegen Volksverhetzung erhoben hat. Damit könnte man es bewenden lassen. Solche Nachtjacken gibt es ja überall. Womöglich macht man sich zusätzlich ein bisschen lustig darüber, dass er im Versuch einer größtmöglichen Denunziation etwas als teuflisch und satanisch bezeichnet, und fragt sich, was wohl Gott und der Allmächtige dazu sagen würden. Vielleicht auch noch ein Hinweis darauf, dass sich der Mann schon früher durch islamfeindliche Predigten und Ausfälle gegen Homosexuelle hervorgetan hat, die jetzige Situation somit wenig überraschend ist.

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Anschließend wendet man sich wieder anderen Dingen zu. Aber nein, Sie wissen ja inzwischen, wie das hier läuft. Immerhin habe ich einen Ruf als penetranter Feministennörgler zu verteidigen. Also wird es Zeit für Homolobby. Nicht für das, was Flitzpiepen von AfD und FPÖ für Homolobby halten, sondern für ein paar unangenehme Wahrheiten über Vorurteile, Verunsicherungen und Selbstgefälligkeiten, die insbesondere heterosexuelle Männer gegenüber ihren schwulen Geschlechtsgenossen hegen. Über offene und latente Schwulenfeindlichkeit wird viel zu wenig geredet. Und noch weniger darüber, wie sehr heterosexuelle Männer damit ihre eigene Männlichkeit beschneiden.

Die Hölle der Unmännlichkeit

Anstatt den ganzen Horizont der Männlichkeit in den Blick zu nehmen, starren sie auf einen festen Punkt, weil man ihnen eingetrichtert hat, dass sich jenseits dieses kleinen Ausschnitts die Hölle der Unmännlichkeit auftut. Damit meine ich nicht nur notorische Homohasser und Überzeugungstäter, für die Homosexualität gleichbedeutend mit einer schweren Sünde und einem Affront gegen ihre eigene Identität ist. Ich meine auch gerade die, die eigentlich nichts gegen Schwule haben, aber. Die Sachen sagen wie: "Wenn ihr schwul sein wollt, seid schwul, aber geht mir nicht auf den Sack damit." Oder auch: "Solange die mir nicht an den Arsch packen, ist alles okay." Ist das nicht nett? So eine richtig generöse "Leben und leben lassen"-Geste. Damit kann man es doch einfach bewenden lassen. Irgendwann muss schließlich auch mal gut sein mit diesen Forderungen von "schrillen Minderheiten".

Mehr als Duldungsstatus

Nein, ist es nicht. Nicht nur, weil jedwede Form von Diskriminierung nicht hinnehmbar, sondern auch aus purem Egoismus. Wenn wir Jungen gute, vielfältige, inklusive und großartige Versionen von Männlichkeit erzählen wollen, dann müssen die Lebenswelten, das Lieben und Begehren von schwulen Männern unbedingt dazugehören und nicht als Abweichung markiert werden. Auch nicht als tolerierte Abweichung. Ein kasuistischer Taschenspielertrick, der vorgibt, "nur" die Sünde zu hassen, aber den Sünder zu lieben, reicht einfach nicht. Nicht nur weil schwule Männer sehr viel mehr verdienen als einen bloßen Duldungsstatus von heterosexuellen Männern, sondern auch weil heterosexuelle Männer deutlich mehr verdienen als eine verstümmelte, um Homosexualität "bereinigte" Version ihrer eigenen Identität. Damit meine ich nicht, auch wenn mir das von anderen Männern gelegentlich unterstellt wird, dass alle Männer schwul werden sollen. Und ganz sicher rate ich heterosexuellen Männern nicht dazu, Schwule als Token zu benutzen. Als Abziehbilder von dem also, was sie selbst für schwule Identität halten, die dann ihr Leben bereichern soll.

Einladung zur ominösen Homolobby

Ich meine schwule Helden. Schwule Vorbilder, schwule Lehrer, schwule Künstler, schwule Sportler. Männer, für die mann sich begeistert, ohne Homosexualität immer vom Gesamtbild abzuziehen oder auszuschließen. Schwule Freunde, die mann liebt und denen mann sich anvertraut. Schwule Feinde, gegen die mann keine vorurteilsbehaftete Abneigung hegt, sondern die mann einfach nicht leiden kann, weil sie beispielsweise herablassende Arschlöcher sind. Wer schwul als Schimpfwort benutzt, beschimpft Männlichkeit, indem er als unmännlich abwertet, was er für eigentlich weiblich hält.

Heterosexuelle Männer, die andere Männer als schwul herabsetzen, geben Teile ihrer eigenen Identität der Verachtung preis und lassen andere für das daraus resultierende Gefühl der Entfremdung büßen. Genau deshalb sollten gerade heterosexuelle Männer diesen Text als Einladung verstehen, sich der ominösen Homolobby anzuschließen. Nicht nur aus Solidarität und aus einem uneingeschränkten Bekenntnis zur Maxime "Gleiches Recht für alle", sondern auch mit Blick auf sich und die eigenen Belange. Denn von Vielfalt als Gegenmodell zu einem einfältigen Männlichkeitskonzept profitieren alle Beteiligten. (Nils Pickert, 5.7.2020)