Homeoffice ist nahezu beliebt, wie die Arbeiterkammer (AK) mit dem Ifes-Institut aktuell erhoben hat. Aber welche Gefahren, Nachteile und wachsende Ungleichheiten könnten dabei vergessen werden?

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Nur knapp die Hälfte der Arbeitenden in Österreich kann aufgrund der Tätigkeit zu Hause werken. Allerdings sieht das Gros dieser 48 Prozent Homeoffice nach mehreren Covid-19-Wochen überwiegend positiv. Homeoffice ist nahezu beliebt, wie die Arbeiterkammer (AK) mit dem Ifes-Institut aktuell erhoben hat. Damit in der großen Euphorie Fallstricke und Gefahren, Nachteile und wachsende Ungleichheiten nicht vergessen werden, lud AK-Präsidentin Renate Anderl den STANDARD zum runden Tisch in Wien.

AK-Präsidentin Renate Anderl (Mitte) mit (von links) Ilse Fetik (Erste Bank), Ingrid Brodnig (Digitalisierungsexpertin) und Jörg Flecker (Soziologe) diskutierten zu den Gefahren von Homeoffice.
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Grundsätzliche Haltung der obersten Arbeitnehmervertreterin: Homeoffice braucht keinen Rechtsanspruch der Arbeitnehmer – aber Betriebsvereinbarungen mit klaren Regelungen. Um schleichendes Abstellen von Belegschaftsteilen ins Dauer-Homeoffice zu vermeiden, will Anderl allerdings einen Rechtsanspruch auf einen Büroarbeitsplatz.

Und wo steckt der Teufel im Detail? Ingrid Brodnig, Buchautorin und Publizistin zu Digitalthemen sowie engagierte Gewerkschafterin, relativiert gleich einmal die große Liebe zum Homeoffice: Sie wirft ein, dass erst der "Horror und die Unbeliebtheit" von Großraumbüros das Arbeiten zu Hause vergleichsweise beliebt machen. Die Schattenseiten würden erst nach einer gewissen Zeit sichtbar, etwa körperliche Negativfolgen von Heimarbeitsplätzen mit mangelnder Ergonomie oder etwa das Abgeschnittensein von informeller Kommunikation, Unsichtbarkeit, die gut und gerne zum Vergessenwerden führen könnte und eigentlich lediglich bestehende Hierarchien festigt. Dass Kreativität im Miteinander, das Zusammengehörigkeitsgefühl und auch Einspruchsmöglichkeiten gegen Betriebsentscheidungen ins Hintertreffen geraten (können), fügt sie ebenso hinzu.

Neue Erreichbarkeitskultur?

Jörg Flecker, Soziologieprofessor an der Uni Wien, hat gleich eine ganze Liste "neuer Selektionsmechanismen" in der Homeoffice-Kultur. Über allem sieht er die Gefahr, dass die in Österreich beliebte Präsenzkultur (es arbeitet nur, wer auch physisch anwesend ist) durch eine neue Erreichbarkeitskultur ersetzt wird. Dass Arbeit und Privatsphäre im Homeoffice verschwimmen, sei soweit bekannt. Es habe sich allerdings zuletzt verstärkt gezeigt, dass Mitarbeitende jederzeit erreichbar seien, um zu zeigen: Ja, ich arbeite eh brav. Klar für Flecker: "Homeoffice bringt eine weitere Beschleunigung." Mögliche Nachteile sieht der Soziologe auf vielen Ebenen: etwa in der Wohnungsgröße, in der technischen Infrastruktur, in der digitalen Befähigung und im Talent zur Selbstorganisation. Wer diese grundlegenden Möglichkeiten nicht habe, gerate leicht ins Hintertreffen.

Dass vor allem ein gewaltiger Rückschlag in Gleichstellung und Genderpolitik der Unternehmen drohe – darüber ist sich die Runde einig. Präsidentin Anderl berichtet aus ihrer aktuellen Umfrage, dass Männer recht zufrieden mit der Infrastruktur seien, Frauen dagegen nicht. "Sie arbeiten eher vom Wohnzimmer oder vom Esstisch aus." Zudem seien Frauen diejenigen, die Mehrfachbelastungen auch nach dem Ende des Homeschoolings im Homeoffice zu tragen haben.

Ilse Fetik, die Betriebsratsvorsitzende der Erste Bank, spricht Klartext zu einer der Versuchungen, denen Firmen anheimfallen können: "Dollarzeichen in den Augen, was man alles sparen kann, wenn man Homeoffice auf Dauer einführt." Klar für die Runde und auch Ergebnis von Umfragen: Ausschließlich Homeoffice will niemand. Die Sehnsucht nach echter Begegnung ist groß geworden.

Bei aller Heterogenität der Lebenslagen und -ansprüche lautet der Appell: Homeoffice nur auf Basis einer Betriebsvereinbarung und so gestrickt, dass es den jeweiligen Bedürfnissen in der Belegschaft entspricht. Das solle jetzt "bottom up" von allen Mitarbeitenden abgefragt werden. (Karin Bauer, 6.7.2020)