Zwischen Uhrturm und Kunsthaus: Von Montag bis Samstag ertönen stündlich Nebelhornsignale, Kuckucks rufe oder vorbeifahrende Dampfloks. Jeweils zwischen 8.20 und 11.20 sowie zwischen 14.20 und 18.20 Uhr.

Foto: Bill Fontana, 2019

Graz und Bill Fontana hatten es nicht leicht miteinander. Als der US-amerikanische Klangkünstler 1988 als einer von zahlreichen Kunstschaffenden zum Steirischen Herbst ("Bezugspunkte 38/88") eingeladen wurde, um sich auf unterschiedliche Weise mit der Rolle der steirischen Hauptstadt während des Zweiten Weltkriegs auseinanderzusetzen, wurde sein Beitrag zum öffentlichen Politikum.

In seiner Installation Sonic Projections ließ er eine Klangwolke an mehreren Orten der Stadt erklingen, die eine wichtige Rolle im Dritten Reich gespielt hatten. Unter anderem beim NS-Hauptquartier. Exotisches Vogelgezwitscher, ein Nebelhorn oder Liebesschreie von Gibbonaffen mischten sich mit aufgenommenen Stadtgeräuschen: Straßenbahnen, Tauben, Verkehr.

Provokante "Affenschande"

Fontana brachte Klänge aus der ganzen Welt nach Graz und vermischte sie mit den ureigenen. Womit er ein Zusammenspiel zwischen Umwelt und Bewohnern herstellen und eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit schaffen wollte. Doch die Menschen fühlten sich – vor allem durch die Affenlaute – provoziert, man sprach von einer "Affenschande". Noch bevor die Politik reagieren konnte, zerstörten Randalierer die Arbeit.

Ganze 32 Jahre später setzt sich Fontanas Geschichte in Graz fort: Der in San Francisco lebende und international bekannte Soundkünstler, wurde im März für das "Graz Kulturjahr 2020" erneut eingeladen, um ein Reenactment seiner Klanginstallation im Stadtraum sowie eine Einzelschau im Kunsthaus zu präsentieren. Am Tag der Eröffnung musste das Museum am Mur-Ufer schließen. Fontana scherzte: "Graz again?"

Zwar konnte die erweiterte und im Dialog mit Anwohnern und der Stadt erarbeitete Neuaufnahme der Klangwolke (in Kooperation u. a. mit dem Ö1-Kunstradio) auch während des Lockdowns (leiser und nur vom Kunsthaus aus) ertönen, aber erst seit dieser Woche wie gewohnt anlaufen und ist nun unter der Woche zu festen Uhrzeiten von Uhrturm und Kunsthaus aus zu hören.

Hinzugekommen sind neue Vogelgeräusche, Zuglaute und andere Nebelhörner. Die Gibbons aber sind verschwunden. Immer noch gehe es um die Beziehung zwischen Mensch und Umwelt, die Balance zwischen Natur und Kultur, sagt die Kuratorin Katrin Bucher Trantow. Die Reaktionen aber seien durchwegs positiv, man sei sich entgegengekommen.

Klima, Klanglandschaft und 64-Kanäle

Auch die politische Botschaft hat sich verändert und bezieht sich auf aktuelle Probleme. Fontana steigt direkt in die Klimadebatte ein, so Bucher Trantow. Er möchte ein Bewusstsein für unseren Umgang mit Umweltproblemen schaffen: "Was kann und will Umwelt alles sein?"

Jene Themen holt der 1947 in Cleveland, Ohio, geborene Künstler auch in den Ausstellungsraum hinein, wo die Ausstellung Primal Energies diese Woche nun endlich öffnen konnte. Die ortsspezifische Installation geht einen Schritt weiter und beschäftigt sich mit erneuerbaren Energieformen.

Über eine Rolltreppe gelangt man in die abgedunkelte Kuppel des biomorphen Kunsthauses. Von unten sieht es fast so aus, als ob man in ein finsteres Nirgendwo fahren würde. Was erwartet einen dort oben?

Noch bevor man etwas sieht, nimmt man nur Geräusche wahr: Da rinnt, tropft, rauscht, plätschert, dröhnt, brummt und weht etwas. Je nachdem, wie man sich durch den Raum bewegt, verändern sich die Töne. Fontana habe die 64-Kanal-Installation so komponiert, dass ein objektives Klangerlebnis kaum möglich sei, erzählt Bucher Trantow.

Begibt man sich in diese immersive Landschaft, begegnen einem acht meterhohe Leinwände, die von der Decke hängen oder schräg in den Raum gestellt sind. Darauf sind audiovisuelle Strukturen unterschiedlicher Energiequellen zu sehen.

Audiovisuelle Energie

Allerdings verfremdet Fontana die Videos, die er auf seinen Reisen gesammelt hat: Es sind englische Windturbinen, Wasserkraft auf der Mur oder Solarpaneele aus Dubai. Gespiegelt oder multipliziert sehen sie fast so aus wie dynamische Rorschachtests. Oft erkennt man nur abstrakte Details. Bild und Sound, Technik und Kunst sind hier kaum zu trennen.

Welches Geräusch genau zu welchem Bild gehört und durch welche Bewegung verursacht wird, ist schwierig nachzuvollziehen – aber auch nicht nötig.

Schließt man die Augen, schneidet da ein Windrad durch die Luft, Windböen fegen über staubigen Boden, und Holzstämme stoßen dumpf unter Wasser aneinander.

Steigt man dann auf die verglaste Aussichtsplattform des Kunsthauses – die sogenannte Needle –, wo man eine Art Archiv zu Fontanas Arbeiten findet, hat man einen uneingeschränkten Blick auf den Uhrturm. Von dort ruft wenig später das Signal des Nebelhorns herunter. Die Stadt Graz und der Künstler Bill Fontana scheinen versöhnt. (Katharina Rustler, 4.7.2020)