Normalerweise wäre das Wochenende, an dem in Wien, in Niederösterreich und im Burgenland die ersten Schülerinnen und Schüler in die Sommerferien starten, jener Zeitpunkt, an dem es gilt, ganz grundsätzlich über die Wege zu und die Ziele von Bildung Bilanz zu ziehen. Was ist gut gelaufen? Wo braucht es Veränderung? Welche Reformen und Reförmchen wirken? Und vor allem wie?

Doch diesmal ist alles anders. Es geht um Distance-Learning, darum, wie Abstand und Schule zusammengehen, um die eilends eingeführten neuen Regeln für die Matura. Corona! Fast zwei Monate wurde der Unterricht österreichweit ausgesetzt. Das Bildungssystem stand kopf. Mitte Mai dann die Rückkehr an die Schulen – im Schichtbetrieb, mit Maske. Es war ein verrücktes Schuljahr. Kein Wunder, dass die Frage drängt: Wird das so bleiben? Und wie soll das im Herbst bitte weitergehen?

Für heuer ist Schluss, jedenfalls im Westen Österreichs – und in einigen Bezirken in Oberösterreich. Und was bringt der Schulherbst?
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"Schule wird wahrscheinlich nie mehr so sein, wie sie war", glaubt Paul Kimberger. Zwar wünscht sich der Pflichtschullehrergewerkschafter (FCG) ein Zurück zur alten Normalität, aber: "Die Unbeschwertheit ist weg. Das Ganze macht natürlich etwas mit uns allen." Auch organisatorisch stehe man vor großen Fragen, und er wartet dringendst auf Antwort. Im Bildungsministerium lautet diese: "Business as usual", Normalbetrieb also. "Ausgehend davon, dass die Infektionszahlen nicht wesentlich über die aktuellen Werte steigen: Wenn wir dann im Herbst nicht voll aufsperren, dann dürfen wir überhaupt nicht mehr aufsperren", formuliert es Generalsekretär Martin Netzer fast kämpferisch. Eskalationsmöglichkeiten, wie die Rückkehr zur Maske oder zum Schichtbetrieb, habe man dann immer noch. Und ja, auch wenn es viele nicht glauben wollen – es gäbe einen Plan. Aber ob der auch so kommt?

Kühler Kopf

Gerade erst musste Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) fassungslos zusehen, wie die oberösterreichischen Türkisen mit großräumigen Schulschließungen auf einen rasanten Anstieg an Covid-19-Fällen reagiert haben. Der Ärger am Minoritenplatz war groß (s. Seite 13). Man sorgt sich, dass mit solchen Aktionen Unruhe gestiftet wird, unter Lehrkräften wie Eltern. Dabei gelte es doch gerade dann, wenn die saisonalen grippalen Infekte noch dazu kommen, kühlen Kopf zu bewahren.

Das raten auch die Experten. Der Kinderinfektiologe Viktor Strenger von der Med-Uni Graz wagt den Blick in die Zukunft: "Wenn im Herbst ein Kind in die Ordination kommt, hat es zu 80 Prozent Husten. Aber klinisch kann ich das nicht von einer Coronavirus-Infektion unterscheiden." Aus epidemiologischer Sicht mache es natürlich Sinn, jedem einzelnen Verdachtsfall auf den Grund zu gehen, allerdings brauche es dafür "die nötigen Testkapazitäten". Es gelte dann, rasch zu testen, "aber die ganze Maschinerie rundherum" – sprich Absonderung, Quarantäne bis hin zu Klassen- oder Schulschließungen – solle "erst dann in Gang kommen, wenn ein solcher Test auch wirklich positiv ist", sagt Strenger. Was schon vor Corona empfehlenswert war, jetzt aber umso mehr: die Influenza-Impfung, auch für Kinder.

Der Lehrergewerkschafter Kimberger fragt sich aber auch, ob es bei Vollbesetzung in den Klassen durchsichtige Trennwände wie im Supermarkt geben werde. Und was ist mit Schwerpunktsetzungen in Werken, Turnen oder Musik, damit auch diese Fächer wieder unterrichtet werden können? Der Mediziner Strenger plädiert hier für mehr Verhältnismäßigkeit. Er findet es "einigermaßen absurd, wenn ich Kontaktsportarten mit Wildfremden ausüben darf, aber in der Schule kann kein Turnunterricht stattfinden".

Grundsätzlich sei das Infektionsgeschehen bei Kindern noch nicht ausreichend geklärt, sagt Strenger. Was man aber bereits sagen könne, ist: "Kinder haben weniger häufig Symptome, und die Daten deuten immer mehr darauf hin, dass sie sich auch weniger häufig anstecken." Heißt: Vorsicht, aber keine Panik.

Beim nächsten Verdachtsfall plädiert der Bildungsminister für besonnenes Vorgehen. Zunächst soll auf Klassenebene vorgegangen werden, erst dann auf der nächsthöheren Stufe. Was es nächste Jahr jedenfalls nicht geben wird, sind Skikurse oder Schullandwochen. Ob es nicht auch positive Aspekte gäbe, würde auch im Herbst in Kleingruppen mit tatsächlich individueller Förderung weitergelernt? Das Feedback gäbe es auch, heißt es bei der Lehrervertretung. Allerdings sei die Bedeutung von Schule als sozialer Ort immens, das Abwälzen von Bildungsarbeit an die Eltern nicht zu rechtfertigen, heißt es. (Karin Riss, 4.7.2020)