Liberaler Redneck: Steve Earle beweist wieder seine Klasse.

Der Teufel hat die Kohle in der Erde versteckt. Ihrer habhaft zu werden bedeutet demnach, dem Bösen etwas abzutrotzen. Es ist ein Kampf, den der Mensch nicht immer gewinnt. Was Steve Earle da in archetypischen Bildern besingt, als wäre es ein Traditional aus der Pionierzeit, stammt von 2020 und legt den Finger auf eine offene Wunde. Zumindest in West Virginia.

Dort haben vor zehn Jahren 29 Kumpel das Leben verloren, als die Stollen der Upper Big Branch Mine einbrachen. Die Ignoranz der Betreiber zeitigte eine Katastrophe, und das Verhalten der Gewerkschaft bewies, dass sogar die Interessenvertreter den Kontakt zu ihrer Klientel verloren hatten.

"Make American Great Again"

Das Sinnbild dieses Unglücks ist das Thema von Earles neuem Album Ghosts of West Virginia. Im größten US-Grubenunglück der letzten 50 Jahre offenbart sich für ihn das Dilemma der USA. Unions betrügen ihre Mitglieder, große Firmen alle anderen. Buchstäblich zugrunde gehen tun daran die Arbeiter. Und jene, die überleben, wenden sich enttäuscht und wütend ab – und wählen das nächste leere Versprechen in Gestalt des Donald Trump: "Make America Great Again". Das funktioniert ja bisher ganz prächtig.

New West Records

Earle besingt das mit der ihm eigenen Melancholie: Scharfzüngig und zärtlich, ein bisschen ramponiert, wie es seine Physis ist, dennoch felsenfest in seiner Überzeugung. Der 65-Jährige ist so etwas wie ein liberaler Redneck. Diese Kombination ist schwer zu verkaufen, zumal Earle im weiten Feld des Country(-Rock) zu Hause ist.

Dort fällt er seit den 1980ern mit einer Gesinnung auf, die beständig mit der des konservativen Amerika kollidiert, das ja angeblich dessen wahren Werte hochhält. Wie ein singender Michael Moore trägt er einem dafür nicht per se empfänglichen Publikum unangenehme Wahrheiten vor. Er überführt die Lügen, die hinter politischen Slogans wie dem "War on Terror" liegen, bietet in seinen Liedern Perspektivenwechsel an, weist auf die Grautöne zwischen Schwarz und Weiß hin. Oder jene zwischen Rot und Blau.

Rebellisches Wesen

Er ist Pazifist, gegen die Todesstrafe und wiegt die göttliche Mission der Taliban mit jener ab, die angeblich ebenfalls mit Gottes Beistand in Afghanistan oder dem Irak eine Demokratie schützen, die sich dieser Zuschreibung als immer seltener tauglich erweist. Earle aber lässt nicht locker, und der Erfolg seiner Mission ist erstaunlich. Sein Geheimnis: Er nimmt Andersdenkende ernst. Er hört ihnen zu und verleiht auch ihnen in seiner Kunst eine Stimme, hält aber gleichzeitig mit seiner Sicht dagegen.

Das stattet ihn mit der Autorität des Authentischen aus, die von einer Biografie gestützt wird, die uramerikanisch ist. Der 1955 in Virginia geborene und in Texas aufgewachsene Earle fällt früh durch ein rebellisches Wesen auf. Er entdeckt die Musik, haut von zu Hause ab, um den Songwriter Townes van Zandt kennenzulernen. Er geht nach Nashville arbeiten und beginnt, Songs zu schreiben, wird erst Begleitmusiker und schließlich Hauptdarsteller auf der Bühne, dem rasch einige Hits gelingen. Das Geld geht für (bis heute) sieben Ehen und Drogen drauf.

Die Sache mit der "Hometown"

In den 1990ern muss er zweimal ins Gefängnis. Wenn schon nicht geläutert, so doch clean kehrt er mit dem Album Train a Comin’ wieder. Darauf befindet sich der Hometown Blues mit der schönen Zeile "Nothing brings you down like your hometown". Das gilt auch für eine größere Form der Heimat.

New West Records

Tolle Alben wie El Corazón, Jerusalem oder Washington Square Serenade sind auf beiden Seiten des Atlantiks erfolgreich. Eine autobiografisch gefärbte Rolle als Ex-Junkie Waylon im Serienhit The Wire schadet seiner Popularität nicht. Dabei fordert er seine Fans formal durchaus: mit Hardcore-Bluegrass da und dem Einsatz von Loops und Samples dort.

Am besten in der Mitte

Auf Ghosts of West Virginia ertönt zwar das Banjo, doch es ist die elektrische Gitarre, die den Himmel anheult, den viele Kumpel nie mehr sehen sollten. In der Rolle als linke Stimme in einem rechten Fach ist er längst ein Unberührbarer. Selbst wer seine Ansichten nicht unbedingt teilt, kann Fan seiner Musik sein, so gut ist sie. Man weiß, der hat jene Handschlagqualität, die andere als Qualität nur behaupten.

Der Mann mit dem Rauschebart und dem schläfrigen Blick kennt oben und unten und weiß, dass es in der Mitte am besten ist. Da lebt man miteinander, nicht gegeneinander. Nicht nur die USA brauchen Stimmen wie seine mehr denn je. Vor allem wenn die Musik so toll ist. Die Message sowieso. Ghosts of West Virginia erinnert bloß einmal mehr an diesen herausragenden Künstler. (Karl Fluch, 5.7.2020)