Die Herkunft des Fleisches ist in der internationalen Lebensmittelproduktion kein Qualitätskriterium.

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Corona geht der Fleischbranche hart an die Nieren. Seit der deutsche Schlachthausriese Tönnies für einen Cluster an Infektionen sorgte und seine tausenden Mitarbeiter in Quarantäne schickte, führen auch große österreichische Verarbeiter regelmäßig Covid-19-Tests in der Belegschaft durch. Am Sonntag wurden die ersten Coronafälle in oberösterreichischen Schlachthöfen bekannt. In Deutschland bezweifeln Experten, dass Tönnies ein Einzelfall bleiben wird. Vier riesige Konzerne geben auf dem Fleischmarkt das Tempo vor. Ihre Produktionsstraßen unterscheiden sich kaum von jenen der Tönnies-Gruppe in Nordrhein-Westfalen. Und soziale Missstände wie bei Tönnies ziehen sich seit Jahren quer durch die Branche.

Österreich kauft seit jeher großflächig in Deutschland ein. Fleisch von Tönnies zählt dabei keineswegs zum Billigsten, was auf dem Markt zu haben ist. In der Theorie ist man zwar hierzulande Selbstversorger. In der Praxis aber wird die Hälfte des Fleisches exportiert, was im Gegenzug ebenso hohe Importe bedingt. Das gilt auch für so manch österreichisches Traditionsunternehmen.

Der Speckhersteller Handl Tyrol ist etwa mit Deutschland eng verbunden. Clemens Tönnies, Chef und Gesellschafter des gleichnamigen Unternehmens, das zum Corona-Hotspot wurde, ist Aufsichtsrat des Speckkaisers – zugleich auch langjähriger Lieferant.

"Einer von vielen Lieferanten"

Grund dafür sei seine fachliche Expertise, erläutert Karl Christian Handl, der die Geschäfte des Tiroler Familienbetriebs in der vierten Generation führt, auf eine Anfrage des STANDARD. Es lasse sich daraus aber keine enge Geschäftsbeziehung ableiten, betont er.

Tönnies sei einer von mehreren deutschen Partnern für das mit QS (Qualität und Sicherheit) zertifizierte Fleisch. Konkret habe der Konzern dafür 15 Prozent der Rohware geliefert. Verkauft werde das damit hergestellte Fleischsortiment international. Handl Tyrol exportiere die Hälfte der Produkte. Deutschland ist wichtigster Abnehmer; der Handel fordert dort vor allem deutsches Fleisch ein.

Keine Importware für Österreich

Für seinen Speck und die Rohwürste in Österreich verarbeite er jedoch ausschließlich österreichisches Fleisch, sagt Handl. Die gesamte Produktpalette trage hier das AMA-Gütesiegel. Dieses erfordert, dass Tiere für Frischfleisch in Österreich geboren, aufgezogen und verarbeitet werden.

Verzichtet Handl künftig auf die Expertise und die Lieferungen von Tönnies? Dieser habe Fehler eingeräumt, angekündigt, für alle Beschäftigten angemessenen Wohnraum zu schaffen und von Werkverträgen abzusehen, sagt Handl. Er werde die Zusammenarbeit mit seinen Fleischlieferanten an die Anpassung dieser Zustände knüpfen. "Wir beobachten die Situation genau und werden zeitnah unsere Schlüsse daraus ziehen."

Clemens Tönnies kontrolliert als Aufsichtsrat auch österreichische Betriebe.
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Der Ruf nach mehr Konsumpatriotismus bei Schnitzel, Schinken und Speck stößt in Österreich jedenfalls rasch an seine Grenzen. Mehr als die Hälfte des Frischfleisches wird außer Haus verzehrt – womit seine Herkunft diffus ist. Die stetig wachsende Transparenz im Lebensmittelhandel endet im Großhandel, in Großküchen und der Gastronomie. In der Industrie geht der Einblick schon zuvor verloren. Kaum ein zu Pizzabelag, Ravioli oder Leberknödel verarbeitetes Schwein, Hendl oder Rind trägt ein rot-weiß-rotes Mascherl.

Keine Eigenversorgung

Für die Verarbeitung sei – sehe man von Rindern und Kälbern ab – zu wenig Rohstoff aus Österreich am Markt verfügbar, sagt Anka Lorencz, Chefin der Bundesinnung des Lebensmittelgewerbes in der Wirtschaftskammer. Dass die Landwirte Interesse an einer durchgängigen Herkunfts-Kennzeichnung haben, liegt aus ihrer Sicht auf der Hand. Schließlich hebe dies die Erzeugerpreise. Bei härterem Wettlauf um Fleisch würden am Endes des Tages aber vor allem kleine Verarbeitungsbetriebe durch die Finger schauen.

Zudem kooperieren etliche unter ihnen bereits intensiv mit österreichischen Landwirten und weisen dies auf ihren Produkten auch explizit aus. Ziehen alle Verarbeiter nach, gehe dieses Alleinstellungsmerkmal für sie verloren, sagt Lorencz.

Nur Appetit auf Gustostückerl

Warum reduziert Österreich zugunsten eigener Ressourcen nicht die Exporte? Was ausgeführt und importiert wird, deckt sich nicht. Schweine etwa finden vom Ohr bis zum Schwanz im eigenen Land nur bedingt Absatz, begehrt sind allein die Edelteile.

International werde Fleisch zudem nicht nach Herkunft, sondern nach Qualität gehandelt, erläutert Lorencz. "Herkunft ist dafür kein Kriterium, auch wenn es Bauern nicht gern hören." Es sei für Konsumenten ein emotionales Thema – doch ob in Deutschland oder Österreich: Rasse und Fütterung seien etwa bei Schweinen in beiden Ländern gleich.

Transparenz für Wirte zumutbar

Lorencz hält eine Herkunftskennzeichnung für Frischfleisch für die Gastronomie für zumutbar: Gute Datenbanken sorgten hier für nachvollziehbare Informationen, der Wirt erhalte sie beim Einkauf. Wenig Chancen für mehr Transparenz sieht sie in Großküchen bei verarbeiteter Ware. Viel mehr als die Unterscheidung zwischen EU- und Nicht-EU-Ursprung werde da in der Praxis nicht drinnen sein. (Verena Kainrath, 5.7.2020)