Die Bevölkerung habe das Schlimmste hinter sich, sagte Großbritanniens Premier Boris Johnson, aber: "Das Virus ist noch immer vorhanden."

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Am Vorabend der weitgehenden Aufhebung des Lockdowns in England hat der britische Premier Boris Johnson weiter zu Vorsicht aufgerufen. Knapp 14 Wochen nach Verhängung strikter Ausgangsbeschränkungen habe die Bevölkerung das Schlimmste hinter sich, aber: "Das Virus ist noch immer vorhanden."

Ab Samstag dürfen Pubs, Hotels, Restaurants und Friseure wieder öffnen. Die bisher geltende Abstandsregel von zwei Metern wird auf "ein Meter plus" reduziert. Seit Mitte Juni gilt in Zügen und Bussen Maskenpflicht, für Geschäfte und andere geschlossene Räume gibt es keine Vorschrift.

Von Außen betrachtet verwirrend bleiben die regionalen Unterschiede: In Schottland dürfen erst am Montag Biergärten öffnen, Pubs und Restaurants bleiben noch bis 15. Juli geschlossen. Dann gilt die Maskenpflicht in geschlossenen Räumen.

Hunderte Neuinfektionen

Großbritannien gehört zu den am schwersten von Covid-19 betroffenen Ländern Europas. Bis Freitagmittag lag die Zahl laut Gesundheitsministerium bei 43.995; im Wochenschnitt verzeichnet das Land täglich 118 Corona-Tote und hunderte Neuinfektionen.

Der für flotte Sprüche bekannte Regierungschef hatte vor zehn Tagen in Anlehnung an den US-Nationalfeiertag vom 4. Juli als "Independence Day" gesprochen, das Finanzministerium forderte eifrig zum Konsum im Pub auf.

Zur Ernüchterung trugen zwei Entwicklungen bei: Vergangene Woche strömten Millionen Briten an die Strände und missachteten dabei Abstands- und Hygieneregeln. Diese Woche musste die Regierung über das mittelenglische Leicester einen lokalen Lockdown verhängen – die wöchentliche Infektionsrate war auf 135 Fälle pro 100.000 Bewohner geschnellt.

Fehlende Testresultate

Dabei stellte sich heraus: Die Kommunalregierung tappte über das Ausmaß im Dunkeln, weil die Londoner Gesundheitsbehörde nicht alle Testresultate weitergemeldet hatte. Zudem hat die Regierung entgegen vollmundiger Ankündigungen weder ihre Corona-Warnapp herausgegeben noch die Nachverfolgung von Kontaktinfizierten geschafft.

Von Ende kommender Woche an brauchen sich Einreisende aus Österreich, Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien dennoch nicht mehr in 14-tägige Quarantäne begeben. Die Selbstisolierung stand ohnehin nur auf dem Papier, weil Behörden die Kapazität zu genauer Kontrolle fehlen.

Warum etwa Portugal mit niedrigen Infektionsraten nicht dazu gehören, konnte Verkehrsminister Grant Shapps am Freitag nicht begründen. Er kündigte aber die Abschaffung der Quarantäne für Einreisen aus mehr als 50 Ländern an; die schwer von Covid-19 betroffenen USA werden nicht darunter sein. (Sebastian Borger aus London, 3.7.2020)