Nicht nur Beethoven hat sich für das Thema Freiheit opernmäßig engagiert, auch Ferdinando Paërtat es: In Innsbruck wird die Titelpartie seiner Leonora von Eleonora Bellocci gestaltet.
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Liegt Innsbruck am Meer? Wenn man die Vergangenheit als einen Ozean betrachtet, der mit jedem Tag größer wird, dann ja. Und die Innsbrucker Festwochen der Alten Musik, sie unternehmen wieder Tauchgänge in das klingende Gestern und Vorgestern, hat doch Expeditionsleiter Alessandro De Marchi wieder wertvolle Kunstschätze ausfindig gemacht, die im August gehoben werden. Die erste Rarität, Ferdinando Paërs Oper Leonora, nimmt Bezug auf den Jubilar dieses Jahres, Ludwig van Beethoven. Im Oktober 1804 in Dresden uraufgeführt, fußt das Libretto von Paërs Zweiakter auf Jean Nicolas Bouillys Textbuch von Pierre Gaveaux‘ Oper Léonore, ou L’amour conjugal – so wie auch jenes von Beethovens Fidelio, die ein gutes Jahr darauf uraufgeführt wurde.

Der Belcanto kommt

Im Vergleich mit Beethoven war der 1771 in Parma geborene Paër zu Anfang des 19. Jahrhunderts schon ein Opernroutinier. Im Stil noch von Cimarosa und Gluck geprägt, klingt in seiner Leonora doch auch der Belcanto an. Und so folgen im Zweiakter die kontrapunktischen Kunstfertigkeiten der neapolitanischen Schule auf die Koloraturbravour der mit Instrumentalsoli aufgewerteten Arien, wechselt sich Tragödienernst mit buntem Buffoschalk ab.

Mit Sicherheit eine lohnende Entdeckung – wie auch Joseph Fürst Lobkowitz vor zwei Jahrhunderten befand. In seinem Wiener Palais organisierte der Mäzen am 25. März 1806 eine private Aufführung von Paërs Leonora, just vier Tage vor Premiere der Neufassung von Beethovens Fidelio im Theater an der Wien. In Innsbruck wird die Titelpartie der Leonora von Eleonora Bellocci gesungen. Die preisgekrönte Sopranistin weiß sich bei ihrer ersten Interpretation dieser anspruchsvollen Partie bei Alessandro De Marchi und dem Festwochenorchester in kundigen Händen, die Produktion wird coronabedingt konzertant gegeben, jedoch belebt mit kleinen szenischen Interventionen. (7., 9., 11. 8.)

Happy End in Griechenland

Nicht auf theatralischen Augenschmaus verzichten muss man bei Alessandro Melanis L’empio punito. Silvia Paoli setzt in der Produktion der Barockoper:Jung mit Preisträgern des letztjährigen Cesti-Wettbewerbs das 1669 in Rom uraufgeführte Dramma per musica im Haus der Musik in Szene. Was erwartet hier? Die wahrscheinlich erste Vertonung des Don Giovannis-Stoffs, hier ins alte Griechenland transferiert, mit Commedia dell’Arte-Elementen versetzt und einem Happy End versehen. (21., 23., 24. 8.)

Zeitliches Tiefseetauchen ist mit La pellegrina garantiert, es geht zurück zu 1589, als in Florenz Ferdinando de’ Medici und Christine von Lothringen den Bund fürs Leben eingingen. Für die Festivität wurden sechs Komponisten beauftragt, Intermedien für das gleichnamige Theaterstück (von Girolamo Bargagli) zu schreiben. Die Oper war noch nicht geboren, aber Giulio Caccini, Jacopo Peri & Co. übten hier schon ein bisschen und boten den Hochzeitsgästen neben komplizierter Madrigalkunst auch eingängig Monodisches. Das Orchester La Chimera und ein ausgewähltes Ensemble werden unter der Leitung von Eduardo Egüez in konzertanter Weise in die revolutionäre Vergangenheit pilgern. (26., 28. 8.) (Stefan Ender, 4.7.2020)


Festwochensommer: Zum Konzertprogramm der Innsbrucker Festwochen

Wenn das kein Kunststück ist: Dem Festwochenteam ist es gelungen, den Großteil der Konzerte allen coronabedingten veranstaltungstechnischen Widrigkeiten zum Trotz über die Bühne zu bringen. Die Ambraser Schlosskonzerte, die traditionelle Präludien des Festivals der Alten Musik, mussten leider abgesagt werden, auch im Riesensaal in der Hofburg und in der Stiftskirche Wilten kann aus organisationstechnischen Gründen nicht musiziert werden.

Countertenor Franco Fagioli singt Arien von Händel und Vinci.
Foto: Laidig, IMG

Doch durch die Verlegung ins Tiroler Landestheater und ins Haus der Musik konnten etliche Konzerte gerettet werden, so etwa das Beethoven-Programm mit der C-Dur Messe. Zusammen mit dem Festwochenorchester sind hier unter der Leitung Alessandro De Marchis so hochkarätige Solisten wie Georg Nigl oder Julian Prégardien zu erleben (17.8.) Aus der Hofburg übersiedelten Ottavio Dantone und die Accademia Bizantina mit ihrem Programm Vivaldi d’amore ebenfalls ins nahe Landestheater (22.8.)

An selber Stelle ist auch ein Superstar dieses Festwochensommers zu erleben: Franco Fagioli. Im Landestheater wird der Argentinier mit dem samtweichen, in Sachen Timbre und Tessitura an Cecilia Bartoli erinnernden Countertenor sein Programm mit Arien von Händel und Vinci zusammen mit dem Ensemble Il pomo d’oro und Zefira Valova zu Gehör bringen – coronabedingt leicht gekürzt, dafür aber gleich zweimal. (12.8., 18.30 und 21.00)

Mezzosopranistin Grace Durham, Siegerin des letztjährigen Cesti-Wettbewerbs, widmet sich ganz der Klangkunst Henry Purcells.
Foto: Laidig, IMG

Schottische Volksmusik aus der Barockzeit

Einen Doppelauftritt legen auch Christophe Rousset und Les Talens Lyriques hin, die von Schloss Ambras ins Haus der Musik ausgewichen sind. Zusammen mit der wundervollen Mezzosopranistin Grace Durham, der Siegerin des letztjährigen Cesti-Wettbewerbs, widmet man sich der Klangkunst Henry Purcells, und zwar "with love" (20.8., 18.30 und 21.00). An selber Stelle wird das Freiburger Barock Consort Pergolesis Stabat Mater interpretieren, solistisch unterstützt von Marianne Beate Kielland und Christophe Dumaux (27.8.)

Wer wissen will, wie es klingt, wenn Franzosen irische und schottische Volksmusik aus der Barockzeit spielen (reich, elegant und überraschend heutig), sollte sich das Programm By Moonlight in the Green von The Curious Bards im Landestheater anhören. (8.8.) Und wer die Frage "Who’s afraid of Baroque?" frohgemut mit einem "Ich sicher nicht!" beantwortet, kann sich im Haus der Musik beim Konzert von Soqquadro Italiano von der hellen Stimme von Vincenzo Capezzuto unterhalten lassen. (29.8.)

Und wenn man sich gar nicht reintraut in den neoklassizistischen und den modernen Musentempel vis-à-vis der Hofburg? Dann kann man sich im Hofgarten-Pavillon bei Lunchkonzerten (14., 21.8.) bei freiem Eintritt auch akustisch stärken, oder sich sieben Mal vom Concerto mobile in der Innsbrucker Altstadt – u._a. im Zeughaus – unterhalten lassen. Vom Gassenhauer bis zum Superstar: Die Konzerte der Festwochen spielen auch in diesem seltsamen Sommer alle Stückln. (Stefan Ender, 4.7.2020)