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Bisher war Jean Castex kaum öffentlich bekannt.

Foto: Reuters / Gonzalo Fuentes

Er sieht nicht wie jemand aus, nach dem man sich in der Pariser Metro umdrehen würde: Unauffälligkeit ist ein Markenzeichen von Jean Castex, dem neuen Premierminister Frankreichs. Vielleicht ist das mit ein Grund, dass ihn Emmanuel Macron am Freitag zu seinem Regierungschef erkoren hat. Vorgänger Édouard Philippe hatte in den vergangenen drei Jahren im Regierungssitz des Hôtel Matignon allzu viel Ansehen gewonnen; in den Umfragen lag er neuerdings klar vor dem Staatschef.

Ähnliches hat Macron bei Jean Castex (das "x" wird ausgesprochen) nicht zu befürchten: Der 55-jährige Spitzenfunktionär ist einer breiten Öffentlichkeit unbekannt. In die Pariser Schlagzeilen gelangte der vierfache Vater erst im April, als ihn Macron mit der stufenweisen Aufhebung des Corona-Lockdowns betraute. Castex erledigte die heikle Mission ohne Fehl und Tadel. Das machte wohl Eindruck auf Macron: Er nominierte ihn zur Überraschung der Pariser Insider, die mit einer Frau oder aber mit einer bekannteren Persönlichkeit gerechnet hatten. Doch der Präsident wolle eben einen Premier, der ihn nicht in den Schatten stellt.

"Schweizer Taschenmesser"

Castex hat andere Qualitäten. In der Staatsverwaltung gilt er als "Schweizer Taschenmesser" – stets zur Hand, überall einsetzbar und pflegeleicht. Der Absolvent der Pariser Verwaltungs- Eliteschule ENA bewährte sich als Spitzenfunktionär in allen Sparten – Arbeitsministerium, Krankenhaus-Direktion des Gesundheitsministeriums, Delegierter für die Olympischen Spiele von 2024 in Paris – und dann eben "Monsieur déconfinement", das heißt der "Entriegler" der Virussperre.

In die Lokalpolitik war Castex 2008 eingestiegen, als er für die Konservativen Bürgermeister des Pyrenäen-Orts Prades wurde. Zwei Jahre später holte ihn Präsident Nicolas Sarkozy als Vize-Generalsekretär in den Élysée-Palast. Mutig geworden, kandidierte Castex für die Nationalversammlung, wurde aber von einer Sozialistin geschlagen.

Nun zum Premier katapultiert, muss er beweisen, dass er sich in der harten Pariser Politik behaupten kann. Nicht leicht, Sekundant eines unpopulären Präsidenten zu sein. Und wie soll er einen Neuanfang verkörpern, wenn er doch die gleiche politische Linie wie sein Vorgänger verfolgt? Aber eigentlich soll Castex gar keine Wunder vollbringen. Er soll im Hintergrund seine Arbeit tun, mehr nicht. Die Scheinwerferzone bleibt dem Präsidenten überlassen. (Stefan Brändle, 3.7.2020)