Für den liberalen Philosophen Karl Popper war das wichtigste Zeichen einer Demokratie die Möglichkeit der Wähler, die Herrschenden ohne Blutvergießen auszutauschen – "die Schurken rauszuwerfen", wie es volkstümlich heißt. Wenn das geschieht, kann sich selbst in Staaten mit demokratischen Defiziten langfristig keine autoritäre Herrschaft etablieren.

Deshalb gibt der erste Wahlgang der Präsidentenwahl in Polen so viel Grund zur Hoffnung. Noch hat der liberale Herausforderer Rafał Trzaskowski gegen den Amtsinhaber Andrzej Duda nicht gewonnen. Aber die Tatsache, dass ein solcher Ausgang möglich ist, zeigt, dass die rechtspopulistische PiS-Regierung ihre Macht trotz aller Bemühungen nicht einzementieren konnte. Das sollte trotz aller Warnungen auch für Ungarn gelten: Viktor Orbán ist nicht unverwundbar, solange er demokratische Grundprinzipien einhalten muss. Dafür ist in der ganzen Region die EU-Mitgliedschaft und auf dem Westbalkan die Aussicht darauf entscheidend.

Noch hat der liberale Herausforderer Rafał Trzaskowski die Präsidentenwahl in Polen nicht gewonnen.
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Anders schaut es weiter östlich aus. In Russland gibt es zwar eine demokratische Fassade, aber auch nicht mehr. Ein Szenario, unter dem Wladimir Putin seine Macht freiwillig aufgeben würde, ist nach der per Plebiszit abgesegneten Verfassungsänderung nicht mehr vorstellbar. Und ob sein weißrussischer Nachbar Alexander Lukaschenko tatsächlich zulassen wird, dass er im August nach 26 Jahren im Präsidentenamt abgewählt wird, bleibt ungewiss. Dass er als Folge seiner katastrophalen Corona-Politik nur noch drei Prozent Zustimmung genießt, hat einen Autokraten wie ihn noch nie gestoppt.

Langzeitherrscher wirtschaften ihre Länder fast immer hinunter, weil sie zunehmend zur Willkür neigen und keine Widerrede mehr zulassen. Das dürfte auch den Erfolg von China, wo eine technokratische Oligarchie von Xi Jinpings Alleinherrschaft abgelöst wurde, in den kommenden Jahren gefährden.

Wäre er anderswo Präsident, würde Donald Trump wohl ähnlich agieren; seine autoritären Instinkte sind offensichtlich. Doch bei all ihren Mängel scheint die US-Demokratie in der Lage, einen Wechsel herbeizuführen und damit den größten Schaden vom eigenen Land und der Welt abzuhalten. Doch wird Trump wirklich weichen, wenn Joe Biden im November nur knapp gewinnt? Allein dass führende Politikexperten diese Frage stellen, zeigt, wie viele demokratischen Normen Trump bereits untergraben hat. (Eric Frey,4.7.2020)