Man konnte schon ein bisschen verrückt werden in den gut fünf Jahren Wirecard-Recherche – mit Klagen, Ermittlungen gegen ihn, Beschattung und Desavouierung: Dan McCrum, "Financial Times".

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Man kann schon verrückt werden über der Story. Dan McCrum, Investigativjournalist der Financial Times, hatte jedenfalls das Gefühl.

Seit Ende 2014 recherchierte er über den deutschen Zahlungsdienstleister Wirecard und, vorsichtig gesagt, Eigenheiten in dessen Buchungs- und Rechnungswesen. Er begann 2015 eine Artikelserie über das milliardenschwere Kartenhaus, das die Company und ihr österreichisches Management da aufgebaut hatten, "House of Wirecard" nannte er die Reihe. Darüber müsste man noch nicht überschnappen.

Dazu allerdings boten die Abwehrstrategien von Wirecard gegen den lästigen Journalisten einige schöne Möglichkeiten: 2019 zeigte die deutsche Finanzaufsicht Bafin McCrum und die FT-Korrespondentin in Singapur Stefania Palma bei der Staatsanwaltschaft München an. Der Vorwurf: Verdacht auf Marktmanipulation.

Die Finanzbehörde Bafin behauptete Absprachen mit Spekulanten, die auf fallende Kurse wetten konnten, weil sie von den Recherchen der Financial Times über seltsame Vorgänge bei einer Wirecard-Partnerfirma in Singapur wussten, bevor die Storys dazu erschienen waren. Inzwischen wird die Bafin selbst geprüft, ihr Umgang mit der Wirecard-Causa befördert Debatten über eine gemeinsame EU-Finanzaufsicht abseits nationaler Behörden.

Geklagt, beschattet

Da recherchiert einer über Jahre Stück für Stück die Lügengeschichten eines Börsenstars, hat nun endlich auch konkrete Nachweise über real nicht existierende Milliarden in den Büchern dieses Unternehmens – und ist plötzlich selbst Gegenstand von Ermittlungen, unter Verdacht angeblicher Straftaten. Da kann man schon ein bisschen zweifeln am eigenen Verstand. McCrum selbst spricht davon in einem FT-Video über seine Story mit der Wirecard-Story.

DER STANDARD versuchte in den Tagen mehrfach, mit McCrum zu sprechen. Da waren aber auch noch Razzien bei Wirecard in Deutschland und im Wiener Privathaus des Wirecard-Vorstandschefs Markus Braun. Und ein ausführliches Video-Interview mit der deutschen Plattform finanz-szene.de.

Detektive mit Geheimdienst-Vergangenheit

Wirecard ließ den lästigen Reporter offenkundig beschatten, bis zu 20 Detektive sollen im Einsatz gewesen sein, darunter ein ehemaliger Mitarbeiter des libyschen Geheimdienstes, um ihn und seine Kollegen zu überwachen und ihre Quellen zu identifizieren.

McCrum sprang nicht einmal im letzten Moment vor der Abfahrt aus der Station aus einer U-Bahn, um Verfolger abzuschütteln – oder zumindest das Gefühl der Verfolgung. Das Gefühl täuschte ihn nicht, weiß er heute. Phishing-Mails an ihn und Kollegen, um an Passwörter zu gelangen, ordnet McCrum ebenfalls Wirecard zu. "Mit all den anderen Dingen, die so passiert sind, wird man irgendwann paranoid", erklärte er finanz-szene.de. "Sie wirken verrückt, wenn Sie das jemandem erzählen: Da ist eine große börsennotierte deutsche Firma hinter Ihnen her." Nun ist geklärt, dass etwa 1,9 Milliarden in den Büchern dieser Firma nicht existierten.

Beharrlichkeit und Rückendeckung

Gut fünf Jahre brauchte McCrum von den ersten Hinweisen, wie der Milliardenkonzern Wirecard Anleger täuschte. Diese Beharrlichkeit der Recherche muss man nicht nur wollen, man muss sie sich auch leisten können und wollen. Als Journalistin oder Journalist, aber auch als Medienunternehmen, das dem Aufdecker auch bei Ermittlungen und womöglich in aufwendigen und teuren Verfahren den Rücken stärkt. Man muss sich andererseits etwa auch leisten können, aufwendige Recherchen nach Tagen, Wochen oder Monaten aufzugeben, wenn sie keine tragfähigen Ergebnisse liefern.

Sachkunde hilft

Sachkunde hilft: McCrum war vier Jahre Analyst bei der Citigroup, bevor er 2006 für den Investor’s Chronicle schrieb und ab 2007 für die Financial Times schrieb. Für die gewichtige Lex-Kolumne, für den FT-Blog Alphaville, den er ab 2008 leitete, immer weiterschreibend am House of Wirecard. Seit Anfang 2019 ist er im Invstigativteam der Financial Times . Vor den virtuellen Wirecard-Milliarden deckte er Buchungstricks bei Anwaltsfirmen auf, erfundene Kunden eines Softwarekonzerns und andere verschwundene Milliarden. (fid, 4.7.2020)