Die Polizei hat inzwischen zwei Verdächtige festgenommen.

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Gerasdorf bei Wien/Korneuburg – Nach der Bluttat in Gerasdorf, die den gebürtigen Tschetschenen Martin B. (43) das Leben gekostet hat, hat es eine zweite Festnahme gegeben. Ob über den Mann – ebenfalls ein gebürtiger Tschetschene – noch am Sonntag die U-Haft verhängt wird, sei noch unklar, teilte der Sprecher des Landesgerichts Korneuburg, Wolfgang Schuster-Kramer, auf APA-Anfrage mit.

Über den mutmaßlichen Schützen – ein 47 Jahre alter Tschetschene – wurde unterdessen bereits die bei Mordverdacht bedingt obligatorische U-Haft verhängt. Er war nach einer Verfolgung unter Beteiligung von Beamten des EKO-Cobra gegen 21.35 Uhr in Linz festgenommen worden.

Der zweite Festgenommene befindet sich ebenfalls schon in der Justizanstalt (JA) Korneuburg. Informationen der APA zufolge hatte sich der Mann zum Tatzeitpunkt am Tatort – ein Firmengelände auf einem großen Einkaufszentrum in Gerasdorf (Bezirk Korneuburg) – aufgehalten und war zunächst als Zeuge geführt worden. Bei seiner polizeilichen Befragung verwickelte er sich dann aber in Widersprüche, sodass schließlich wegen Verdachts auf eine mögliche Beteiligung an dem Verbrechen die Handschellen klickten.

Spekulationen über politischen Hintergrund

Bei dem Toten handelt es sich gesicherten Informationen zufolge um Mamikhan bzw. Anzor A., der 43-Jährige war seit 2007 als Konventionsflüchtling in Österreich gemeldet. Zuletzt hatte er seinen Namen in Martin B. geändert

Medienberichte, wonach es sich um einen Auftragsmord mit politischem Hintergrund gehandelt hat, wurden am Sonntag von der Landespolizeidirektion Niederösterreich nicht bestätigt. Es dürfte allerdings ein konkretes Bedrohungsszenario vorgelegen haben. Martin B. soll von den Sicherheitsbehörden Personenschutz angeboten worden sein, was – wie von der APA in Erfahrung zu bringen war – dieser aber abgelehnt haben soll.

Dass B. Angst vor einem Attentat gehabt haben dürfte, bestätigt auch der ukrainische Ex-Politiker Ihor Mossijtschuk. B. habe ihn Mitte Juni um Hilfe bei der Beschaffung einer kugelsicheren Weste ersucht, berichtete dieser. Mossijtschuk selbst hat 2017 einen Terroranschlag in Kiew überlebt. Von dem soll Martin B. laut ukrainischen Ermittlungen vorweg gewusst haben.

B. war bekannter tschetschenischer Videoblogger

Den Behörden sowie der tschetschenischen Community war Martin B. kein Unbekannter. Er dürfte sogar eines der bekanntesten tschetschenischen Gesichter in Österreich gewesen sein. Zuletzt hatte er monatelang die Führung der russischen Teilrepublik Tschetschenien in einem Videoblog provoziert und insbesondere den Regionalpräsidenten Ramsan Kadyrow beschimpft. Eigenen Angaben zufolge soll er aber auch als fragwürdiger Vermittler von Mordaufträgen agiert und seit Jahren mit dem Verfassungsschutz in Wien zusammengearbeitet haben.

Exil-Tschetschenen demonstrieren am Dienstag

Ein führender tschetschenischer Exilpolitiker in Österreich hat als Reaktion auf die Ermordung des gebürtigen Tschetschenen Martin B. für Dienstagnachmittag eine Demonstration vor der russischen Botschaft in Wien angekündigt. "Wir versuchen, auf diesen Mord zu reagieren", erklärte Khuseyn Iskhanov. Seiner Ansicht nach handle es sich um einen politischen Auftragsmord unter Beteiligung russischer Geheimdienste und ihrer Agentennetzwerke. Von Russland fordere man, Politmorde an tschetschenischen Flüchtlingen in Europa zu beenden, betonte der Exilpolitiker.

Der Fall weist deutliche Parallelen zu dem im Jänner 2009 in Wien-Floridsdorf erschossenen tschetschenischen Asylwerber Umar Israilov auf. Dieser hatte gegen Kadyrow vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ein Verfahren im Zusammenhang mit Folter-Vorwürfen betrieben. Die Staatsanwaltschaft Wien kam im Zug ihrer Ermittlungen zum Schluss, dass Israilov zumindest mit Billigung Kadyrows verschleppt werden sollte. Als er sich dieser widersetzte, wurde er erschossen. (APA, red, 5.7.2020)