Ein mysteriöses Massensterben unter Elefanten im südafrikanischen Staat Botswana, dem größten Rüsseltier-Refugium der Welt, hat die Fachwelt aufgeschreckt. Die Tierschutzorganisation "Elephants Without Borders" (EWB) will in den vergangenen acht Wochen 356 tote Elefanten im Norden Botswanas ausgemacht haben.

Aus einem jetzt der Presse zugespielten vertraulichen Bericht der Organisation von Mitte Juni geht hervor, dass 30 Prozent der Kadaver höchstens zwei Wochen, 70 Prozent nicht mehr als einen Monat alt gewesen seien. Die botswanische Tierschutzbehörde bestätigte den Tod von 275 Elefanten, Ranger bemühten sich derzeit darum, das ganze Ausmaß des Massensterbens zu erfassen, sagte der Direktor der Behörde, Cyril Taolo. Fachleute sprechen von einem "beispiellosen Desaster": Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Phänomen mit der Corona-Pandemie zusammenhänge, sagte der Direktor der britischen Naturschutzorganisation "National Park Rescue", Niall McCann.

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Woran die Elefanten starben ist noch unklar.
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Verzögerungen wegen Corona

Die Ursachen des außerhalb des Okavango-Deltas im äußersten Norden Botswanas beobachteten Massensterbens sind noch im Dunkeln. Botswanas Tierschutzbehörde sandte nach eigenen Angaben bereits Proben der Elefanten-Kadaver in kanadische, südafrikanische und simbabwische Labors, wegen der Corona-Pandemie käme es jedoch zu starken Verzögerungen. Womöglich könne man erst in mehreren Wochen mit Ergebnissen rechnen, hieß es.

Wilderei wurde als Ursache des Massentodes ausgeschlossen: Keinem der Kadaver wurden die Stoßzähne abgesägt. Auch ihre Vergiftung mit Zyanid kann nicht der Grund für ihren Tod sein: In diesem Fall wären auch zahlreiche andere Tiere, vor allem Geier und Hyänen, verendet. Selbst eine Vergiftung mit Anthrax-Bakterien gilt als unwahrscheinlich: Sie kommt gewöhnlich nur in der Trockenzeit vor.

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Aus der Luft werden die Kadaver der Elefanten aufgespürt.
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Lethargisch und desortientiert

Der EWB-Bericht enthält detaillierte Schilderungen des Elefantensterbens. Die kranken Tiere machten einen lethargischen und desorientierten Eindruck, bei ihrem Tod stürzten viele vorneüber auf ihr Gesicht. Ein Dickhäuter sei dabei beobachtet worden, wie er ständig im Kreis lief, bevor er tot zusammenbrach: Seine Artgenossen hätten vergeblich versucht, ihn zum geradeaus Laufen zu bringen. Betroffen seien beide Geschlechter und fast alle Altersgruppen der Elefanten, heißt es weiter in dem Bericht: Nur tote Babys wurden offenbar keine gefunden.

Naturschützer McCann hält es für möglich, dass die Krankheit das zentrale Nervensystem der Elefanten angreift: Was auf einen Virus – womöglich sogar SARS-CoV-2 – schließen lasse. Der Vorfall habe "das Potential einer Gefährdung der öffentlichen Gesundheit", sagte McCann. Gegenüber dem britischen Guardian drückte die Geschäftsführerin der Londoner Environmental Investigation Agency, Mary Rice, ihre Verwunderung darüber aus, dass die botswanische Regierung so spät und nur halbherzig tätig geworden sei. "Die mangelnde Dringlichkeit" sei "besorgniserregend" und entspricht nicht "einem verantwortlichen Konservator", sagte Rice. Fachleute verweisen auch darauf, dass Botswana über ein nationales Veterinär-Labor verfüge, das entsprechende Tests durchaus durchführen könne.

Jagd wieder erlaubt

Im vergangenen Jahr brach in dem südafrikanischen Staat eine heftige Debatte aus, weil der seit zweieinhalb Jahren regierende Präsident Mokgweetsi Masisi die Jagd auf Elefanten wieder erlaubte. Botswana leide an einer Überbevölkerung der Rüsseltiere, die nun die Bevölkerung ausbaden müsse, begründete der Staatschef seine Entscheidung. Elefanten trampeln nicht selten die Felder von Wildpark-Anwohnern nieder, wenige Male im Jahr kommen auch Menschen ums Leben.

Wahlverlierer Karma

Den Bann hatte Masisis Vorgänger Ian Karma im Jahr 2014 erlassen: Der ehemalige Staatschef und leidenschaftliche Naturschützer zerstritt sich mit seinem Parteifreund dermaßen über Naturschutz-Fragen, dass er seine eigene Partei gründete und bei den Wahlen vor zwei Jahren gegen Masisi als Kandidat antrat. Karma verlor jedoch den Urnengang.

Botswana beherbergt so viele der geschützten Dickhäuter wie kein anderer Staat der Welt. Während die Zahl der afrikanischen Rüsseltiere auf dem Kontinent drastisch sinkt (laut WWF gibt es auf dem Kontinent nur noch 415.000 Tiere), nahm sie in Botswana seit den 1990er Jahren um mehr als die Hälfte zu. Dieser Erfolg wird nun bedroht. (Johannes Dieterich, 5.7.2020)