Anfang der 1930er-Jahre hatte eine ungewöhnliche religiöse Unruhe mehr als eine Million Bauern in Bessarabien, der östlichsten Provinz des jungen Königreichs Groß-Rumänien, erfasst. In der fernen Hauptstadt Bukarest fürchteten Regierung und die Leitung der Rumänisch-Orthodoxen Kirche die "Stilisten", die Anhänger des alten (julianischen) Kalenderstils, der erst wenige Jahre zuvor durch den gregorianischen ersetzt worden war.

Die Stilisten waren die letzte große bäuerliche Bewegung in Europa, die traditionelle Formen des Widerstands anwandte: örtlich verankert, ohne zentrale Organisation, mit dem Wunsch, das Alte zu bewahren. Ihre unerhörte Widerständigkeit gegen den modernen Staat und seine Zeit ist in Rumänien und der Sowjetunion lange Zeit tabuisiert worden.

Die Stilisten kämpften dabei um ihre eigene Zeit. Es war ein aussichtsloser Kampf, der aber zeigt, wie in den Weiten zwischen Pruth und Dnjestr Menschen sich gegen die Zumutungen der Moderne wehrten, den Einbruch einer neuen Zeitrechnung in ihren Alltag und ihre religiösen Rituale, von denen ihr Seelenheil abhing.

Die Rumänisch-Orthodoxe Kirche und der Staat betrachteten hingegen die Kalenderreform als eine symbolische Modernisierung, welche signalisieren sollte, dass Großrumänien, dem das Ende des Ersten Weltkrieges enorme territoriale und demografische Gewinne gebracht hatte, nun zum Westen gehörte. Das orthodoxe Großrumänien wollte dieselbe Zeitrechnung wie das bewunderte Frankreich haben und auch symbolisch vom orthodoxen Rand in den 1918 auch militärisch siegreichen Westen des Kontinents wechseln. Zwei Welten, zwei Zeitvorstellungen prallten so aufeinander.

Aufgezwungener Traditionsbruch

Weshalb widersetzten sich so viele Bauern der scheinbar konsensualen Zeitumstellung? Die ganz überwiegend bäuerliche und mehrheitlich analphabetische Bevölkerung Bessarabiens war weder von der rumänischen Regierung noch von der Führung der Kirche über den Kalenderwechsel im voraus informiert worden. Die Tatsache, dass aus dem 1. Oktober plötzlich der 14. Oktober 1924 wurde, empfand sie als einen von oben aufgezwungenen Traditionsbruch.

Mehr noch, in der durch die Reform veranlassten Verschiebung kirchlicher Feiertage sahen sie einen Angriff auf ihr Seelenheil, hinter dem sie finstere Kräfte, nicht zuletzt den von ihnen verabscheuten Papst in Rom vermuteten. Denn die neue Zeit war die 1582 vom Papst geschaffene Zeitrechnung, der gregorianische Kalender. Durch Petitionen und die Weigerung, Gotteshäuser der Amtskirche zu betreten, versuchten sie, das junge Patriarchat zum Einlenken zu bewegen. Die Kirchenleitung ignorierte diese Bedenken und ging davon aus, dass die konservativen Gläubigen sich mit der Zeit an den Rest des Landes anpassen würden.

Aufgrund der geografischen Nähe Bessarabiens zur Sowjetunion betrachteten die rumänischen Behörden die rebellischen Bauern als Kommunisten, die mit ihrem Widerstand der kulturellen und kirchlichen Integration der Region im Wege stünden. Da die Sowjetunion die neue Grenze am Dnjestr nicht anerkannte und 1924 sogar einen Aufstand gegen die rumänischen Behörden anzettelte, war deren Nervosität nicht unbegründet. Doch gab es keinerlei Versuche seitens der kirchlichen und politischen Elite, die Empfindlichkeit der Gläubigen gegenüber solch scheinbar kleinen Änderungen im historisch-kulturellen Kontext zu betrachten. Die Rückbesinnung der Bauern auf Traditionen, zu denen der alte Kalender zählte, war auch eine Folge der Gewalterfahrungen, welche sie während des Russischen Bürgerkriegs gemacht hatten.

Umkämpftes Bessarabien

1812 war Bessarabien, zuvor die dünn besiedelte östliche Region des Fürstentums Moldau, vom Zarenreich annektiert worden. Rund hundert Jahre später übernahm das Königreich Rumänien die Provinz in einer Kombination aus Waffengewalt und Anschlusserklärung eines Rumpfparlaments (1918). Im stark vergrößerten rumänischen Staat gehörte Bessarabien zu den ärmsten Provinzen. Der Nationsbildungsprozess, der von Bukarest aus in dem nicht nur sprachlich, sondern seit 1812 auch kulturell russisch geprägten Gebiet in Gang gesetzt wurde, bestand aus zahlreichen Reformen, bei denen die einheimische Bevölkerung häufig übergangen wurde.

Die Sicherheitskräfte, welche der rumänische Staat nach Bessarabien geschickt hatte, um das Grenzgebiet vor sowjetischer Einmischung zu schützen, trugen gemeinsam mit den orthodoxen Dorfpfarrern die Verantwortung für die Implementierung der Kalenderreform. Diese in der Sicht der Bukarester Zentralbehörden in ihrer Bedeutung völlig unterschätzte Maßnahme legte die Schwäche der großrumänischen Eliten frei.

Es verdichteten sich in Bessarabien die Anzeichen der Desintegration der Rumänisch-Orthodoxen Kirche, jener Institution, die seit 1918 mit staatlicher Unterstützung an der Einbeziehung dieses bis zuvor zum Russischen Reich gehörigen Gebiets eine zentrale Rolle gespielt hatte. Dabei war diese Kirche angesichts der Verfolgung der russischen Orthodoxie durch die Bolschewiki die größte orthodoxe Kirche in Freiheit, deren Gebiet durch die territoriale Vergrößerung des rumänischen Staates stark gewachsen war und die aufgrund des Statusgewinns zum Patriarchat erhoben worden war. Mit der Eingliederung der kulturell heterogenen Gebiete des neuen Staates gelangte die Kirche aber ebenso an den Rand der Überforderung wie der Staat.

Die orthodoxe Kirche von Albinețul Vechi, wie der Ort heute heißt, gebaut circa 1980.
Foto: Andreea Kaltenbrunner

Weitreichende Proteste

Vor Ort, in den Dörfern Bessarabiens, drohte Popen und Gendarmen die Kontrolle zu entgleiten. Immer mehr Bauern traten aus der Kirche aus, um eigene Gebetshäuser zu errichten. In Albineț, einem Dorf nicht weit von der Grenze zur Sowjetunion, begannen die Bauern im Juli 1935 sogar mit dem Bau ihrer eigenen Kirche und brachten damit ihren Protest gegen die Amtskirche symbolisch zum Ausdruck. Die meisten Bewohner des Dorfes waren Stilisten.

Aus den zahlreichen Protestaktionen gegen den "westlichen Kalender" heraus wurde das Dorf Albineț Anfang der 1930er-Jahre zum Zentrum der Stilisten in Bessarabien. Ein Komitee, geschützt von mehreren zum Teil bewaffneten Garden, kümmerte sich in Albineț und Umgebung um die Errichtung von Gebetshäusern und Kirchen und um die Suche nach Mönchen, die wegen ihres Widerstands gegen die Reform aus ihren Klöstern verjagt worden und nun gegen eine bestimmte Geldsumme bereit waren, als Priester für die Stilisten zu fungieren. Die Albinețer rekrutierten den Priester Nicolai Climovici, einen russischsprachigen Bauern und Fleischhauer, der Anfang der 1930er-Jahren sein Vermögen verkauft und nach Wien gegangen war, um von einem Bischof der russischen Auslandskirche zum Priester geweiht zu werden.

Zurück in Bessarabien, hielt Climovici den Stilisten die Gottesdienste auf Russisch, nach der Tradition der russischen Orthodoxie. Auch wenn die meisten Albinețer wohl nichts verstanden, so waren sie mit seinen Gottesdiensten zufrieden, solange diese nach dem alten Kalender stattfanden. Die Stilisten waren für die Bauern nicht nur wegen des Festhaltens am alten Kalender attraktiv, sondern lockten diese auch mit niedrigeren Preisen für die "geistlichen Dienstleistungen". Bald stellten sie mit ihrer parallelen Kirchenorganisation eine Konkurrenz zu der Bukarest-treuen Nationalkirche dar.

Den Ruf retten

Die Reaktion der orthodoxen Kirche ließ nicht lange auf sich warten. 1935 kündigte der orthodoxe Priester von Albineț an, neben der brüchigen Holzkirche eine neue Ziegelkirche zu errichten. Diese sollte den Ruf der rumänisch-orthodoxen Kirche und des Staates retten. Die regionale Verwaltung und der Bischof begrüßten seine Pläne und versprachen ihre Unterstützung. Der Dorfpriester unternahm in den nächsten Jahren alles, um Geld zu sammeln, doch die Hilfe ließ auf sich warten.

Gedrängt vom Bischof bettelte er sogar bei unterschiedlichen Ministerien in Bukarest um Spenden, doch weder die Regierung noch die Heilige Synode schickten Geld nach Albineț. Sie waren mittlerweile der Auffassung, dass die Bauern durch die Kalenderreform bereits derartig radikalisiert worden seien, dass ein neues Gotteshaus nicht mehr ausreichen würde, um diese in die Reihen der Nationalkirchen zurückzuholen. Selbst als der Bischof 1938 das Anliegen der Albinețer Pfarre höchstpersönlich bei der Regierung einbrachte, die damals von niemand Geringerem als dem Patriarchen geführt wurde, stieß er auf taube Ohren.

Dem Albinețer Kirchenbauwettbewerb zwischen den Stilisten und der orthodoxen Pfarre wurde im Herbst 1936 ein Ende gesetzt. Die Gendarmerie schlug die Bewegung gegen die Kalenderreform gewaltsam nieder und nahm hunderte ihrer Anführer fest. Allein in Albineț kamen 35 führende Stilisten ins Gefängnis. Ihr noch im Entstehen begriffenes Gotteshaus ging in den Besitz der Gemeinde über; alle Objekte, darunter eine hölzerne Ikonostase und die Glocken, wurden in die orthodoxe Kirche transferiert. Diese sah nicht sehr viel besser aus: Der Rohbau war einsturzgefährdet. Vier Jahre später kamen die Sowjets, und keine der beiden Kirchen wurde jemals fertiggebaut.

Wohnhaus an der Stelle der ehemaligen Kirche der Stilisten, Albinețul Vechi.
Foto: Andreea Kaltenbrunner

Nach 1944, als aus dem Großteil Bessarabiens die Moldauische Sowjetrepublik hervorging, wurde die dortige Kirche der arg gegängelten russisch-orthodoxen Hierarchie unterstellt und dementsprechend in der Liturgie der alte Kalender wiedereingeführt. In den 1960er-Jahren wurde an der Stelle der orthodoxen Kirche von Albineț ein Kulturhaus errichtet, und das Fundament der Stilistenkirche wurde zur Grundmauer eines Wohnhauses. Erst in den 1980er-Jahren bauten die Dorfbewohner ein neues Gotteshaus.

Bei meinem Besuch im Sommer 2017 waren die Erinnerungen an die kalendarischen Konflikte aus der Zwischenkriegszeit noch präsent, doch die Menschen hatten sich in der langen Sowjetzeit ihre eigene Version der Ereignisse geschaffen. Die Stilisten seien Rumänen gewesen, welche in Bessarabien den neuen Kalender eingeführt hätten. Die Albinețer jedoch, die ja bis heute den alten Kalender in ihrer Kirche verwenden, hätten von Anfang an gegen die "rumänische Okkupation" Widerstand geleistet – ein Narrativ, das dem antirumänischen Diskurs der Sowjets entspricht.

Doch auch in der rumänischen Geschichtsschreibung gibt es kaum Hinweise auf die Existenz der Stilisten. Während zahlreiche Archivquellen ihre konfliktreiche Beziehung zu Staat und Kirche belegen, sucht man in den Memoiren zeitgenössischer Kleriker und Politiker vergebens nach Erklärungen, wie solch eine auf den ersten Blick harmlose Reform zur Abspaltung so vieler Menschen von der Nationalkirche führen konnte. Und wenn in den letzten Jahren von einer möglichen Vereinigung zwischen Rumänien und der Republik Moldau die Rede ist und daher auf die gemeinsame erfolgreiche Geschichte der Zwischenkriegsjahre Bezug genommen wird, so lässt sich nachvollziehen, warum auch heute das Interesse an einer neutralen Untersuchung des Phänomens der Stilisten nicht allzu groß ist.

Historikerinnen und Historiker können aber anhand dieser Geschichte nicht nur den Integrationsprozess Bessarabiens in den rumänischen Staat besser verstehen, sondern auch wichtige Prozesse in der Nations- und Staatsbildung nach 1918 auch aus der Perspektive von unten analysieren. Die Annahme, dass die ländliche Bevölkerung Bessarabiens, die Mehrheit davon orthodoxe und rumänischsprachige Gläubige und dadurch automatisch Mitglieder der Titularnation, sich dem in Bukarest entworfenen Modernisierungsprogramm einfach unterordnen würde, war schlichtweg falsch. Staat und Kirche gaben die Kalenderreform im Osten des Landes nicht auf, weil dies nicht ihrem neuen Selbstverständnis und ihrer Mission entsprochen hätte, das Gebiet zu modernisieren. (Andreea Kaltenbrunner, 10.7.2020)