Michael Lemmel hat einen schönen Satz gesagt: "You enter this race as teams, but you finish it being brothers and sisters."

Natürlich ist das pathetisches Communitybuilding-Voodoo. Aber es stimmt. Und macht mit einen Teil dessen aus, was Langdistanzen beim Swimrun ausmacht: Offiziell geht man da aus Sicherheitsgründen in Zweierteams ins Rennen. Darf nie weiter als ein paar Meter auseinander sein – und sollte (oder muss, das ist von Event zu Event unterschiedlich) im Wasser mit einer Gummileine verbunden sein.

Tatsächlich ist das aber nur die halbe Wahrheit.

Bernhard Noll

Denn das "brothers & sisters" gilt nicht nur für die Buddies, mit denen man sich da die Kante gibt, sondern für alle im Feld – auch unterwegs: Einen Wettkampf, bei dem an einer Versorgungsstelle, an der sich die Routen kreuzen, die (zu diesem Zeitpunkt) Führenden stehen bleiben, um mit den Letzten ein Stück Kuchen zu essen und gemütlich zu quatschen, findet man sonst wohl eher schwer.

Und je "härter" der Event oder sein Image ist, umso seltener: Es mag ein Klischee sein, dass Triathleten verbissen und humorlos sind – aber ganz unbegründet ist es nicht. Da kann man schon beim Einrichten der Wechselzone (also wenn man Rad und Laufzeug herrichtet) mitunter erstaunliche Erlebnisse machen. Beim Backwaterman oder auch beim Ötillö – und ganz allgemein beim Swimrun – ist das anders. Und das liegt nicht daran, dass es dort keine Wechselzonen gibt.

Thomas Rottenberg

Aber der Reihe nach: Swimrun? Backwaterman? Ötillö? Michael Lemmel? Nein, diese Begriffe und Namen muss man nicht kennen. Nicht einmal bei versierten und erfahrenen Läufern oder Läuferinnen, nicht einmal bei begeisterten Multisportlern und -innen kann und darf man sie als bekannt voraussetzen. In Österreich sowieso nicht. Das ist verdammt schade – und eigentlich auch erstaunlich. Denn gerade die heimische Seen- und Landschaftsvielfalt würde "Hierzuland" als perfektes Schwimm-Lauf-Dorado qualifizieren.

Denn Swimrunning, sogar die Franzosen verwenden den englischen Ausdruck, ist genau das, was der Name sagt: Ein steter Wechsel zwischen Laufen und Schwimmen. Im Gegensatz zum "Aquathlon" aber oftmals – und man muss das gesamte Equipment immer bei sich haben.

Bernhard Noll

Der "Ötillö" ist der Ironman der Swimrunnerei. Er stammt aus Schweden, begann 2002 als besoffene Wette von vier Freunden, bedeutet ebenfalls, was der Name sagt ("Ö till ö": Von Insel zu Insel) und führt fast 80 Kilometer (15 davon im Wasser) über 26 Inseln des Schärengürtels vor Stockholm. Heute ist der Ötillö eine ähnliche Kultveranstaltung, wie der Ironman auf Hawaii: Längst muss man sich bei anderen (überlaufenen und teuren) Events qualifizieren, um mitspielen zu dürfen. Michael Lemmel ist einer der Organisatoren der Ötillö-Serie. Den "Brothers & Sisters"-Satz habe ich ihn zweimal sagen gehört: Einmal beim Race-Briefing vor Stockholm (da war ich Zuschauer). Und einmal in der Schweiz – als Teilnehmer der "Sprintdistanz".

ötillö.com

Weil aber niemand das Monopol auf eine Sportart haben kann oder soll, gibt es längst auch andere Swimrun-Serien. Oder Einzelevents. Und auch wenn Swimrunning eine Nische in der Nische in der Nische ist, "rockt" der Sport – in Skandinavien ist Swimrunning fast schon Volkssport, in Frankreich und England groß. Benelux zieht nach und Deutschland auch.

Österreich? Nun ja: Österreich ist halt Österreich. Hier dauert alles ein bisserl länger. Echte Swimruns muss man hier mit der Lupe suchen: Die Wasserrettung Waidhofen macht mit dem "Riverthlon" den einen – und Andreas Sachs (ein Urgestein der heimischen Ausdauersport-Eventszene) mit dem "Backwaterman" den anderen. Am, im und rund um den geradezu unpackbar schönen Ottensteiner Stausee.

Wobei es den "Backwaterman" hier schon seit 15 Jahren gibt – als Frei- und Langstrecken-Schwimm-Event. Der Swimrun-Appendix kam heuer zum ersten Mal dazu. Als Marathon (davon 8 Kilometer im Wasser), Halbmarathon (24 Kilometer, fünf davon im Wasser) und Sprint (acht Kilometer, davon 1600 Meter in vier Häppchen im Wasser).

Foto: Bernhard Noll

Dass ich nicht rot werden muss, wenn man mir ins Gesicht sagt, der außerhalb der heimischen "Szene" (so es die überhaupt gibt) vermutlich bekannteste (aber wahrlich nicht stärkste!) Swimrunner Österreichs zu sein, sagt über die aktuelle Größe, Relevanz und Bekanntheit des Sports bei uns wohl alles aus. (Der Herr am Plakat neben mir ist ein echter Star: Pontus Lindberg, Weltmeister, hier kennt ihn keine Sau.)

Dass mich Andreas Sachs zum Marathon ins Waldviertel einlud und die Leute von Head fast beleidigt waren, weil ich bei einem sommerlich-heißen Training in Wien statt einem für kaltes Wasser konzipierten Neoprenanzug der "ersten SR-Generation" deutlich leichteres Material des Konkurrenten "Colting" und des dänischen Tri-Labels Fe226 ausprobierte, war bezeichnend – und liegt sicher nicht an meiner Leistung. Aber zum Material komme ich noch.

Thomas Rottenberg

Wobei die Nischenexistenz des Sportes hierzulande auch eine gute Seite hat: Wären Openwater-Schwimmereien oder Swimruns Teilnehmer- oder Publikumsmagneten, hätte Andreas Sachs dieses Wochenende (Sa: Openwater, So: Swimrun) seine Veranstaltung nie und nimmer umsetzen können. Aber mit insgesamt 116 angemeldeten Teilnehmerinnen und Teilnehmern aller drei Swimrun-Rennen am Sonntag (und etwa 250 SchwimmerInnen tags zuvor) und einem minutiösen "Corona-Konzept" (u.a. Einzelstarts), ging es. So ziemlich als erster öffentlicher Sportevent seit dem Lockdown. Klar war Sachs stolz, aber tatsächlich ist ein de facto bewerbloser Sommer für den Breitensport (und alle Veranstalter) natürlich eine Katastrophe.

Thomas Rottenberg

Für den Marathon waren insgesamt 14 Teams angemeldet. 12 starteten. Darunter internationale Elite- und de facto-Profi-Athleten wie die Backwaterman-Vorjahressieger und Ötillö-World-Series-Sieger Guillaume Heneman und Mariette Remi (hier im Bild) aber auch frühere Ironman-Schwimmgrößen, erfahrene Ultratrail-Läufer oder Langstrecken-Schwimmlegenden: Dass mein Freund Ed Kramer (ja, der Betreiber des Traillauf-Spezialshops "Traildog Running") und ich das Rennen wohl eher nicht gewinnen würden, war eh klar und auch gar nicht unser Ziel. Die 31 Kilometer zu Land und acht im Wasser überhaupt zu schaffen, war für uns beide schon Herausforderung genug. Vielleicht, eigentlich: vermutlich, ohnehin zwei Schuhnummern zu groß: Ich weiß, was ich kann und wo meine Grenzen sind. Scheitern ist keine Schande. Aber es deshalb gar nicht zu versuchen, ist in so einem Setting keine Option – das habe ich hier auch schon vor ein paar Wochen gesagt.

Thomas Rottenberg

Der Ottensteiner Stausee ist für einen "skandinavischen" Event nachgerade genial: Landschaftsbild und Tektonik erinnern tatsächlich ein wenig an schwedische Schären und Landschaften und norwegische Fjorde. Wer das Waldviertel kennt, weiß aber, dass es hier auch im Sommer wettertechnisch recht "nordisch" zugehen kann – und Wörthersee-Temperaturen haben die Gewässer hier oft eher nicht.

Umso erstaunter waren wir, als wir auf der Veranstalter-Homepage zwei Tage vor dem Bewerb lasen, dass lange Voll-Neoprenanzüge nicht zugelassen wären: das Wasser habe 22-23 Grad – und das sei zu warm.

Aber auch die Vorstellung mit einem "Shorty" (also einem Kurzarm- und -bein-Neo) bei Hochsommertemperaturen doch immer wieder etliche Kilometer am Stück in der prallen Sonne zu laufen, klang eher unsexy.

Denn die Challenge beim Swimrun ist nicht zuletzt, das richtige Klima-Management: Im Wasser nicht frieren, am Land nicht überhitzen. (Bei mir kommt dann noch die Balance zwischen Hitzschlag und Sonnenbrand dazu: Sonnencreme-Schmieren kann man sich bei 20 Wechseln aus und ins Wasser nämlich getrost sparen.)

Thomas Rottenberg

Gab es anfangs lediglich Neoprenanzüge, die im Schritt für das Laufen halbwegs optimiert waren, hat die Industrie den Trend längst erkannt und aufgegriffen: Swimrun-Outfits gibt es längst für (fast) jede Klimazone. Und das Gute an Events wie dem "Backwaterman" ist, dass man das Zeug dort auch ausprobieren und testen kann: Mit den abgesehen von den Auftriebshilfen an Oberkörper und Oberschenkeln (Schwimmen mit Schuhen wird sonst auf längere Strecken wirklich mühsam) an Triathlon-Einteiler erinnernden Superlight-Anzügen kann man sogar im Hochsommer ohne sofortiges Nahtoderlebnis laufen und schwimmen.

Thomas Rottenberg

Was aber fast ein bisserl schade ist: Wanderer, denen man begegnet, bleibt der nur ganz leicht groteske Anblick von Menschen in Taucheranzügen mitten im Wald vorenthalten.

Wobei die trotzdem genug zum Staunen und Lachen haben: Badehaube und Schwimmbrille am Kopf, Handpaddel und "das komische Dingsbums da" (gemeint ist immer der Pull-Buoy, eine weitere Auftriebshilfe) verfehlen ihre Wirkung unterwegs auch selten. Und wenn man dann, wir taten es nicht, auch noch beim Laufen das Gummiband zwischen den Teampartnern dran lässt: Umso lustiger für die Zuseher und umso launiger die Kommentare.

(Und bitte entschuldigen Sie Wassertropfen auf der Gopro-Linse: Zum Abwischen hatte ich keine Zeit)

Thomas Rottenberg

Natürlich lachten am See und auf den Wanderwegen alle. Gut so. Denn das Lachen war immer freundlich – nie hämisch oder verächtlich. Und spätestens nach der Antwort auf die Frage, wie weit man da und so unterwegs sein würde, kam auch Respekt dazu. Schon die Sprintwertung wäre für geschätzt 85 Prozent der "Normalbevölkerung" nicht zu schaffen – das vergessen Menschen in meiner oder unserer Blase gerne: Sechseinhalb Kilometer laufen ginge vermutlich noch irgendwie – aber 1600 Meter schwimmen? No way. Und zwar auch dann nicht, wenn man das nicht kombiniert und oder das Schwimmen alleine in vier Etappen aufteilt: Die Schwimmkompetenz österreichischer Schüler liegt, angeblich und obwohl Schwimmen in der Schule gelehrt und geprüft werden müsste, bei nicht einmal 200 Metern. Immer mehr Menschen in diesem Land können gar nicht schwimmen. Das ist zwar ein anderes Thema, aber in einem Land der Flüsse und Seen eigentlich Wahnsinn: Nicht Ertrinken hat nichts mit Sport oder einem Hobby zu tun.

Thomas Rottenberg

Ed und ich hatten schon vor dem Lauf beschlossen, es locker anzugehen. Durchaus sportlich, aber nicht ehrgeizig: Es war heiß. Das Wetter war traumhaft. Die Landschaft noch schöner. Die Blicke und Panoramen grandios. Das Wasser war freundlich-still und hatte fast Badewannentemperatur – und die Menschen an der Strecke, an den Stränden und auf den Booten, waren durch die Bank freundlich und fröhlich, auch wenn sie hier schon Stunden ausharrten. Weil sie die Strecke absicherten.

Thomas Rottenberg

Nicht nur an den Ein- und Ausstiegen, sondern auch unterwegs: An den Labestellen. Auf dem Wasser. Und auch sonst zwischendurch immer wieder auf der Strecke. Wir wünschten ihnen allen im Vorbeilaufen (oder beim Plaudern, eilig hatten wir es ja wirklich nicht) jedes Mal einen möglichst langweilen Tag – und bedanken uns dennoch dafür, dass sie da waren:

Solange Feuerwehrleute, Wasserretter und Sanitäter nichts zu tun haben, ist alles in Ordnung. Aber ich will, dass sie da sind.

Und wenn ein Feuerwehrmann von einem Boot aus irgendwann fragt, ob er uns "ein bisserl Boots-Querverkehr zutreiben soll", weiß ich, dass auch bei allen anderen im Rennen alles in Ordnung ist: Für solche Blödeleien haben Helfer nur dann den Kopf frei, wenn am Funk alles ruhig ist.

Thomas Rottenberg

Kurz gesagt: Es war ein Traumtag. Ein Traumlauf. Natürlich anstrengend. Natürlich zwischendurch auch immer wieder zach: Knapp 32 Kilometer hügelig im Gelände und Teils durch Gestrüpp laufen, sind immer 32 Kilometer laufen – auch wenn keine Passage länger als fünf Kilometer ist.

Und acht Kilometer mit Schuhen und Handpaddeln zu schwimmen ist für die Schultern auch nicht unbedingt eine Kinderjause – auch wenn kein Teil länger als einen Kilometer ist und man sich im Wasserschatten des Partners abwechselnd erholen kann.

Bei uns, dem "Team Traildog", war meist Ed vorne. Wir hatten unsere Kompetenzen klar aufgeteilt: Er ist der bessere Schwimmer und ich der schwächere Läufer.

Thomas Rottenberg

Außerdem hatten wir uns neben dem Dank- und Unterhaltungsauftrag noch eine weitere Aufgabe gestellt: Den anderen, den von manchen tatsächlich als Schmach empfundenen letzten Platz zu ersparen – obwohl das bei so einem Bewerb mit einem so feinen Erlebnishorizont und einem Starterfeld von 12 Teams "Hobetten" ja auch wurscht sein könnte. Aber: Jeder und jede so, wie es am meisten Spaß macht.

Bis etwa zum letzten Drittel des Rennens matchten wir uns mit einem deutschen Paar, das mit Top-Vorbereitung in den Bewerb gegangen war. Auf den Pull-Buoys der "Schwarzwald Antilopen" standen die Etappenlängen, am Tag zuvor hatten sie 1000 Fragen zu genauer Streckenführung, Wassertemperatur und Höhenprofil gehabt.

Thomas Rottenberg

Den beiden schien das alles wichtig zu sein. Sie lachten kaum, wenn wir einander bei einem Übergang trafen: Beim Schwimmen waren wir klar, beim Laufen geringfügig schneller. Aber Ed und ich hatten die Übergänge nie geübt, brauchten immer ewig, unser Zeug zu ordnen und machten Fotos – in Summe waren wir also gleichauf. Irgendwann merkten wir, dass es unseren "Gegner" wirklich wichtig war, vor uns zu sein. Sollten wir da jetzt wirklich noch andrücken, obwohl ja auch wir nicht sicher sein konnten, ob uns nicht genau diese Körner dann am Schluss fehlen würden?

Thomas Rottenberg

Wir schalteten einen Gang zurück: Auch wenn wir nicht voll auf Anschlag unterwegs waren, war das schon lange kein Spaziergang mehr. Irgendwann hatte sich Ed auch das Knie aufgeschlagen. Nicht böse, aber doch schmerzhaft.

Als die "Antilopen" endgültig außer Sichtweite waren, wurde es fast gemütlich: Klopausen. Kuchenessen. Steine aus den Schuhen holen. Mit Feuerwehrleuten plaudern und gemütlich "nach Hause": Als wir die letzte Kurve zum Schloss liefen, strahlten wir beide.

Thomas Rottenberg

Beim Überqueren einer Ziellinie gibt es zwei Arten des Glücks: Entweder man freut sich, weil man sich freut – oder weil es vorbei ist.

Ich kenne beides. Und hätte geglaubt, dass ein letzter Platz allerhöchstens die zweite Freude zulässt.

Aber weit gefehlt: Ed und ich waren siebeneinhalb Stunden unterwegs gewesen. Wir waren rund 18 Minuten nach den "Antilopen" im Ziel. Ein solider, souveräner allerletzter Platz. Die Sieger, erwartungsgemäß die französischen Profis, hatten für die gleiche Strecke 5:02:41 gebraucht – zweieinhalb Stunden weniger.

Thomas Rottenberg

Trotzdem waren wir glücklich. Wir hatten gewonnen. Haushoch. Nicht nur, weil wir in der Früh beide alles andere als sicher gewesen waren, ob wir durchkommen würden. Nicht nur, weil ein Marathon-Finish immer etwas ist, das einem jeder, der blöd redet, einmal nachmachen soll (erstaunlicherweise redet dann kaum einer mehr herablassend).

Aber vor allem, weil Michael Lemmel recht hat. Auf der Strecke passiert etwas: "Ihr geht als Teams in so ein Rennen – aber ihr beendet es als Brüder und Schwestern."

(Tom Rottenberg, 8.7.2020)


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