Vor 29 Jahren, zwischen dem 26. Juni und dem 7. Juli 1991, tobten jenseits unserer Südgrenze Kämpfe zwischen der Jugoslawischen Volksarmee und slowenischen Territorialverbänden. Es war der Auftakt zum Zerfall Jugoslawiens mit jahrelangen Kriegen und hunderttausenden Toten. In der steirischen Grenzstadt Bad Radkersburg war das Feuergefecht jenseits des Flusses zu hören. Ein jugoslawischer Düsenjäger flog in den österreichischen Luftraum ein und zog über Graz unbehelligt seine Kreise. Die Bevölkerung wurde immer unruhiger, bis dann Tage später Panzer und Infanterieeinheiten anrollten.

Das kann man nun als Beweis dafür nehmen, dass es keine echte Bedrohung gab und gibt und wir daher kein kampffähiges Heer brauchen. Man kann es aber für möglich halten, dass die jugoslawische Armee flüchtende slowenische Verbände auf unser Gebiet verfolgt hätte. Oder slowenische Verbände versucht hätten, sich in Österreich umzugruppieren, um erneut in den Kampf zu ziehen. Eine leichtbewaffnete Feuerwehr, wie offenbar die aktuellen türkisen Pläne für das Heer lauten, hätte dann wohl blöd aus der Wäsche geschaut.

"Wer soll uns denn angreifen, Liechtenstein?", lautet ein gern verwendetes Argument. In der Tat, es ist nicht zu sehen, wer Österreich konventionell angreifen sollte.

Abschreckung

Aber erstens hat ein Heer auch auf noch so unwahrscheinliche Fälle angemessen vorbereitet zu sein. Zweitens muss es durch Abschreckung wirken können. Drittens gibt es heute unkonventionelle Attacken, und man kann mit bloßer Drohung von Stärke gegen Hilflosigkeiten seine Ziele durchsetzen. Die Krim ist nun in russischer Hand, weil eines Tages "grüne Männchen", Soldaten in Tarnanzügen ohne Hoheitszeichen, auftauchten und die Schlüsselstellen besetzten. Die ukrainischen Kräfte auf der Krim waren hilflos.

Ein Heer hat auf noch so unwahrscheinliche Fälle angemessen vorbereitet zu sein.
Foto: APA/ROBERT JAEGER

Das war übrigens ein sogenannter "hybrider Konflikt", wie ihn die Studie "Bundesheer 2030" als ziemlich wahrscheinlich auch für die Zukunft bezeichnet. Diese Studie wurde im Auftrag des Berufsoffiziers und Kurzzeitministers der Regierung Bierlein, Thomas Starlinger, erstellt und spricht eine deutliche Sprache: Österreich ist zu einer Landesverteidigung nicht in der Lage.

Das glaubt freilich niemand und ist vielen wurscht, besonders Bundeskanzler Kurz und Finanzminister Blümel. Die beiden haben kein Interesse am Heer. Es hat ihnen offenbar auch niemand einmal eine Vorlesung über historisch-strategische Konflikte in Ostmitteleuropa vom späten 19. bis zum späten 20. Jahrhundert gehalten.

Es gibt extrem unwahrscheinliche Situationen, die aber dann doch eintreffen. Niemand hat geglaubt, dass der Ostblock zerfällt. Er tat es dann doch, zum Glück friedlich. Niemand hat geglaubt, dass Jugoslawien so blutig zerfällt. Niemand glaubt, dass von den "starken Männern" in unserer näheren und weiteren Nachbarschaft einer einen gewaltsamen (ethnischen) Konflikt anzettelt, wenn er es politisch braucht. Oder? Es gibt schon eher Leute, die es für möglich halten, dass die EU und/oder die Nato zerfallen. Da kann es in Mitteleuropa plötzlich sehr ungemütlich werden.

Ob man nun Panzer braucht oder nicht – man braucht ein ernstzunehmendes Heer. (Hans Rauscher, 7.7.2020)