Als Zugführer muss ÖBB-Chef Andreas Matthä derzeit auf Sicht fahren. Die Corona-Pandemie setzt der auf staatliche Finanzierung angewiesenen Bundesbahn gehörig zu.

INTERVIEW: Luise Ungerboeck, Andreas Schnauder

APA / Hans Punz

Wien – Trotz massiven Fahrgastschwunds und damit verbundener Umsatzeinbrüche geht die ÖBB bei klassischen Corona-Hilfen leer aus. ÖBB-Chef Andreas Matthä über Mund-Nasen-Schutz, Frachtverlagerung auf die Straße und drohenden Kahlschlag bei Verladestellen.

STANDARD: Haben Sie inzwischen Klarheit, wie viel an Corona-Hilfsgeldern die ÖBB bekommt? Hat die vom Finanzministerium mit der Abwicklung der Corona-Hilfen beauftragte Cofag bereits etwas zugesagt?

Matthä: Klar ist, dass wir bei der Cofag nicht dabei sind. Weil wir, und das gilt für alle Güterbahnen, in der Krise die Versorgung aufrechterhalten haben. Deshalb erfüllt keines der Unternehmen die Voraussetzungen für Hilfszahlungen, wonach der Umsatz um mehr als 40 Prozent gefallen sein muss.

STANDARD: Wie das, es waren ja so viele Betriebe heruntergefahren?

Matthä: Doch. Wir hatten zwar in der schlechtesten Zeit ein Drittel der Frachtmenge verloren, aber nicht 40 Prozent des Umsatzes. Jetzt pendelt sich das Minus im Güterverkehr auf 20 Prozent ein.

STANDARD: Was bedeutet das im gesamten Wirtschaftsjahr?

Matthä: In Summe erwarten wir im Konzern rund 740 Millionen Euro Umsatzverlust, davon gut 300 im Güterverkehr. Im Personenverkehr, wo wir von einem Tag auf den anderen 90 Prozent weniger Fahrgäste hatten sind es rund 450 Millionen Euro Rückgang. Vorige Woche hatten wir noch 40 Prozent weniger Fahrgäste. Insbesondere im Fernverkehr wird uns eine Delle bleiben, weil Geschäftsreisende und Touristen ausbleiben. Das wirkt sich natürlich auch auf unser Ergebnis aus.

Muss von der Politik Millionen für die Staatsbahn loseisen, sonst sieht es düster aus für die ÖBB: Andreas Matthä.
Foto: APA / Hans Punz

STANDARD: Die Bahn verliert somit massiv Passagiere an den Pkw?

Matthä: Nicht nur. Als die Schulen geschlossen wurden, waren die Eltern meist abwechselnd zu Hause. Viele sind also aufgrund der Kinderbetreuung nicht mit den Zügen zur Arbeit gependelt. Aber, es ist richtig, ein Teil der Pendlerinnen und Pendler fährt derzeit lieber mit dem Auto. Das wird sich nach den ersten massiven Staus sicher wieder ändern.

STANDARD: Meiden die Fahrgäste die Bahn aus Schutzgründen?

Matthä: Ja, da ist immer noch die Sorge, dass man sich im öffentlichen Verkehrsmittel anstecken könnte. Die Verpflichtung, Mund-Nasen-Schutz zu tragen, ist auch ein Grund, wobei ich dafür plädiere, öfter Masken zu tragen, denn das Virus ist nicht weg und eine zweite Welle können wir uns nicht leisten. Es wird Achtsamkeit gefordert, aber was ist so schlimm daran, wenn ich im Supermarkt eine Maske trage, um die anderen nicht zu gefährden? Das ist für mich als Konsument weit weniger beschwerlich als für einen Supermarktkassierer, der den ganzen Tag Mundschutz tragen müsste.

STANDARD: Wie kommt die ÖBB doch noch zu Staatshilfen?

Matthä: Einen großen Teil tragen die ÖBB-Gesellschaften. Von den erwarteten 740 Millionen Euro Umsatzverlust werden wir selbst rund 300 auffangen, weil wir weniger Aufwand hatten, etwa bei Strom, Treibstoffe oder Wagonanmietungen, und anderseits durch Überstunden- und Urlaubsabbau und natürlich die Kurzarbeit, von der 6000 Mitarbeiter betroffen waren. Außerdem haben wir die Auslastung im Güterverkehr optimiert. Trotzdem müssen wir heuer im Konzern mit einem negativen Ergebnis vor Steuern im Ausmaß von rund 50 Millionen Euro rechnen.

STANDARD: Woher kommt der große Rest auf die 740 Millionen? Der Bund zahlt im Wege der Notvergabe für gemeinwirtschaftliche Verkehrsdienstleistungen im Personenverkehr ja deutlich mehr.

Matthä: Richtig, diese vertraglichen Anpassungen bringen uns rund 190 Millionen Euro, 25 Millionen kommen aus Kurzarbeit.

Halbleere Züge sind im Betrieb genauso teuer wie volle.
Foto: APA / ÖBB / Marek Knopp

STANDARD: Die Gütersparte Rail Cargo Austria (RCA) fehlt noch. Sie war bereits vor Corona in der Krise und es ist schwer vorstellbar, dass sie ausgerechnet jetzt ohne weitere Hilfen auskommen sollte.

Matthä: Hier wird jedenfalls Unterstützung notwendig sein, weil wir den Betrieb ja aufrechterhalten mussten um die Versorgung mit Waren und Gütern sicherzustellen. Da sind wir durchaus im europäischen Konzert, nahezu alle Länder haben die Schienenmaut erlassen oder drastisch reduziert. Das wäre auch für Österreich eine Option.

STANDARD: Damit erodieren aber in der für Bahnausbau und -betrieb zuständigen ÖBB-Infrastruktur die Einnahmen. Eine Lücke gibt es ja bereits aufgrund der Minderabnahmen an Bahnstrom etc., die staatliche Finanzierung der Bahn steigt damit dauerhaft.

Matthä: Die europäische Kommission hat den Mitgliedsstaaten empfohlen, das Infrastrukturbenützungsentgelt zu senken und die staatliche Finanzierung der Bahninfrastruktur auszuweiten. Daran arbeiten wir, weil es gemäß EU-Beihilfenrecht sonst kaum Möglichkeiten gibt, den Schienengüterverkehr staatlich zu unterstützen. Bringen könnte eine Senkung rund 50 Millionen Euro.

STANDARD: Aus dem Topf Fixkostenzuschuss kommt nichts?

Matthä: Das könnte für uns infrage kommen, allerdings sind Staatsbetriebe bis dato ausgeschlossen. Ich sehe das mit hochgezogener Augenbraue, wenn wir beim Fixkostenzuschuss ausgeschlossen sind. Das ist eine massive Wettbewerbsverzerrung, schließlich stehen alle Güterbahnen ungefähr gleich "hübsch" da.

STANDARD: Wie viel würden Sie aus diesem Titel haben wollen?

Matthä: Wir sprechen von einer Größenordnung von 80 Millionen, die die RCA-Gruppe lukrieren könnte.

STANDARD: Sie hoffen also auf Anpassung der Förderrichtlinien?

Matthä: Ja, das wird diskutiert – oder eben eine Absenkung der Trassenpreise, die 50 Millionen Euro bringen könnte. Darüber hinaus gäbe es auch noch die Möglichkeit, die aktuell bei rund 60 Millionen gedeckelte Förderung für Einzelwagen- und Unbegleiteten Kombiverkehr aufzuheben.

STANDARD: Damit würde ein Austro-Spezifikum perpetuiert, das in Europa kaum Abnehmer findet, weil es aufwendig und teuer ist: Mit unterschiedlicher Fracht beladene, zu einem Zug zusammengespannte Wagons sollen stärker gefördert werden. Ist die Dauersubvention die Zukunft?

Matthä: Es geht darum, Systemkostennachteile der Schiene gegenüber dem Straßengüterverkehr auszugleichen. Diese summieren sich auf rund 300 Millionen Euro. Die Einzelwagenförderung hebt den Modalsplit in Österreich von 17 auf 30 Prozent. Diese relativ kostengünstige Förderung hat also eine große Wirkung, Fracht wird auf die Schiene verlagert. Andernfalls müssten wir unsere rund 400 Bedienpunkte dramatisch reduzieren, weil Produktionsbetriebe, Holzwirtschaft und Agrar flächig verteilt sind, was den Transport kostspielig macht. Für diese Verkehre ist Covid-19 Gift.

STANDARD: Sie meinen damit auch die Anschlussbahnförderung? Die einst von Staat finanzierten Anschlussbahnen direkt von den Fabrikstoren weg wurden in den vergangenen zwanzig Jahren sukzessive reduziert und aufgelassen. Die RCA wollte diese unrentablen Transporte gar nicht mehr, hat Ihr Vorgänger mehrfach betont.

Matthä: Bei den Anschlussbahnen ist mehr drin, wir müssen die Industriebetriebe zur Schiene bringen, um die Klimaziele zu erreichen. Daher sollte die Industrie bei der Verlagerung direkt gefördert werden.

STANDARD: Wie darf man sich das vorstellen? Sie sagen, wir transportieren ohne Förderung kein Holz mehr. Wie viele Verladestellen würden Sie zusperren?

Matthä: Es wäre mit Sicherheit eine signifikante Größe. Wie viele der 400 Bedienpunkte betroffen wären, ist aber Teil der Analyse. Dazu kommt, dass der Betrieb von Nebenstrecken massiv teurer wurde. Der Infrastrukturbetreiber darf den Eisenbahnunternehmen aufgrund der Direct-Cost-Verordnung der EU nur mehr jene Kosten verrechnen, die direkt pro Zug und Fahrt anfallen. Die moderne, vollautomatisierte Weststrecke verursacht deshalb kaum Kosten, während die teils nicht elektrisierten Nebenbahnen mit alter Technik pro Jahr um 28 Prozent teurer wurden. Das hat zur Folge: Anstatt den Zufluss zu den Hauptstrecken billiger zu machen, wurde er kostspieliger. Das ist ein großer Nachteil, denn der Lkw zahlt nur auf der Autobahn Maut, der Zug aber überall.

STANDARD: Wie in der Finanzkrise verliert die Bahn an die Straße?

Matthä: Ja, der Preisdruck ist enorm, der Lkw fährt inzwischen um 50 Cent pro Kilometer, obwohl nicht einmal ein Euro kostendeckend wäre. Wir haben sogar jene Transporte wieder verloren, die wir in der Corona-Krise gewonnen haben. Das Tomatenmark fährt jetzt leider wieder Lkw. Deshalb ist es höchste Zeit, den Lkw-Transport in den Treibhausgas-Emissionshandel aufzunehmen. Wirklich hart wird mit Sicherheit 2021, denn wir hängen stark an Impulsen aus Deutschland, allen voran von der Stahl- und Automobilindustrie. Deshalb fahren wir noch auf Sicht und unser ÖBB-internes Transformationssprogramm Nordstern wird nachjustiert. (Luise Ungerboeck, Andreas Schnauder, 8.7.2020)