So schnell wie die Regierung das öffentliche Leben ab Mitte März zum Stillstand gebracht hatte, so schnell wurden die Maßnahmen auch wieder gelockert. Seitdem sendet Türkis-Grün eine merkwürdige Mischung an Botschaften aus. "Die gesundheitlichen Folgen der Krise sind überstanden", schrieb Kanzler Sebastian Kurz im Juni auf seinem Facebook-Account. Knapp einen Monat später wurden schon wieder Schulen geschlossen und in einem Bundesland die Masken zur Pflicht gemacht.

Jetzt soll sogar die Polizei eingesetzt werden, um Kranke, Verdachtsfälle und deren Kontaktpersonen auf etwaige Symptome zu überprüfen. "Ein Armutszeugnis", sagt die Ärztekammer völlig zu Recht.

Nicht nur, dass die Verfassungskonformität der Regelung fraglich ist, auch ihr Weg ins Parlament macht skeptisch. So fügte die türkis-grüne Regierung die erweiterten Befugnisse für die Polizei als Antrag dem Konjunkturstärkungsgesetz (!) hinzu, um es rasch durch den Nationalrat bringen zu können. Wieder einmal sollen besonders heikle Gesetzesmaterien ohne breite Debatte durch das Parlament gewinkt werden.

Polizeikontrolle am Wiener Donaukanal.
Foto: APA/HERBERT P. OCZERET

All das erweckt den Eindruck, als befänden wir uns noch mitten in der epidemiologisch gefährlichen Zone, in der die Fallkurve steil nach oben geht. Aber dem ist nicht so: Die Ausbrüche sind regional, man kann sie nachvollziehen und so auch kontrollieren. Ein gewisses Unwohlsein dürfte aber bei der Regierung vorherrschen, sonst hätte man nicht quasi "über Nacht" die Polizei für epidemiologische Aufgaben herangezogen, ohne die Opposition einzubinden.

Vertrauen

Insgesamt hat man das Gefühl, dass die gesundheitliche Corona-Krise von der Regierung immer so schlimm beurteilt wird, wie ihr das politisch gerade in die Karten passt. Gibt es Druck aus dem heimischen Tourismus, werden Reisewarnungen für Nachbarländer mit Meerzugang möglichst lange aufrechterhalten. Geht es um Urlaub in Österreich, stehen wir als Europameister in der Virusbekämpfung da. Das gilt auch für regionale Ausbrüche: Passiert etwas in der dichtbesiedelten Millionenstadt Wien, die zufälligerweise rot regiert wird, schalten sich fast alle türkisen Minister ein, um ihre "Hilfe" anzubieten. Entstehen bedenkliche Krankheitsausbrüche in Tirol oder Oberösterreich, vernimmt man dazu kaum Meldungen aus der Bundesregierung.

Da passt es gut, dass die sichtbarsten heimischen Experten Kritiker sind, die sich aus den Beraterstäben der Minister zurückgezogen haben. Eine öffentlich präsente, unabhängige Institution wie in Deutschland Christian Drosten oder in den USA Anthony Fauci gibt es hierzulande nicht.

Wir müssen vertrauen, dass Kanzler Kurz und Gesundheitsminister Rudolf Anschober ohne parteipolitische Hintergedanken informieren. Dieses Vertrauen ist seit dem Lockdown allerdings angeschlagen. Zu stark wiegt der lasche Umgang mit dem Recht, wenn wie jetzt viele Urteile wegen vermeintlichen Verstößen gegen den Lockdown von Gerichten aufgehoben werden. Zu stark riecht der Umgang mit einzelnen Bundesländern nach Parteipolitik. Und zu schwer wiegt der Umgang mit dem Parlament, dem in Hauruck-Aktionen sensible Materien zum Abnicken vorgelegt werden.

Repariert werden kann das nur, indem die Regierung jetzt klare Pläne vorlegt, was in bestimmten Situationen zu tun ist – und diese Ideen dann möglichst breit zur Debatte stellt. (Fabian Schmid, 7.7.2020)