Auch Wladimir Putin selbst hat abgestimmt.

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Am 2. Juli war offiziell, was zuvor ohnehin schon jedem klar gewesen war: Russlands Präsident Wladimir Putin konnte sich in einem nicht bindenden Referendum den notwendigen Rückhalt für seine Verfassungsreform und damit eine mögliche Verlängerung seiner Präsidentschaft bis 2036 sichern. Knapp 58 Millionen Russinnen und Russen gaben ihre Stimme ab und votierten mit mehr als 78 Prozent im Sinne Putins. Die durchaus respektable Wahlbeteiligung von knapp 68 Prozent wurde einerseits durch die einwöchige Möglichkeit zur Abstimmung, teils aber auch mit unlauteren Mitteln erreicht, berichten Experten und Wahlbeobachter.

So sollen etwa Firmenchefs ihre Mitarbeiter zur Abstimmung gezwungen haben. Im Moskauer Stadtbezirk Lefortowo fand eine Familie, die abstimmen wollte, gar heraus, dass für sie bereits abgestimmt wurde. Nicht nur Oppositionelle kritisierten, dass eine adäquate Wahlbeobachtung unmöglich war. Nun lassen sich aber zumindest retrospektiv einige durchaus interessante und mit Zufall kaum noch erklärbare Abstimmungsverhaltensweisen rekonstruieren.

Vierecke

Die russischen Behörden gaben nämlich die offiziellen Daten aus den Wahllokalen heraus. Grafisch aufbereitet, lassen diese einige verdächtige Muster erkennen.

Dabei geht es vor allem um sogenannte "Integer Anomalies", also ungewöhnliche Häufungen in den Prozentpunkten bei ganzen Zahlen – meist sogar in Fünferschritten. Konkret bedeutet das, dass es auffällig viele Wahllokale gab, in denen das Referendum eine Zustimmung von 75, 80, 85, 90 oder 95 Prozent erhielt, bei einer gleichzeitig hohen Wahlbeteiligung von 75, 80, 85, 90 oder 95 Prozent. Durch diese Häufung entsteht in der grafischen Darstellung ein regelrechtes Muster an Vierecken im oberen rechten Quadranten des Diagramms.

Dass es sich dabei um eine zufällige Häufung handelt, ist mathematisch so unwahrscheinlich, dass es ausgeschlossen werden kann. Der Verdacht liegt also nahe, dass an der einen oder anderen Stelle an den Zahlen geschraubt worden ist. Zur Veranschaulichung ein Beispiel: Nehmen wir an, im Rahmen eines sportlichen Wettstreits werden etliche Schulklassen (der Einfachheit halber sind es je 100 Schülerinnen und Schüler pro Klasse) dazu aufgefordert, auf freiwilliger Basis einen gleich schweren Ball in eine Sandkiste zu werfen. Beim Ergebnis zeigt sich, dass sich in überdurchschnittlich vielen Fällen jeweils exakt 75, 80 oder 85 Schüler beteiligten und deren Kugel auch noch – trotz millimetergenauer Messung – exakt bei entweder bei sieben, 7,5 oder acht Metern Weite landete.

In Tatarstan (links) und Tschetschenien (rechts) gab es Auffälligkeiten.

Genau solche unwahrscheinlichen Ausschläge nach oben sind aber in zahlreichen Regionen zu beobachten. Zudem auffällig: Je höher die Zustimmung zu Putin war, desto eher näherte sich der Prozentsatz einer geraden Zahl an, was keiner logischen Begründung folgt. Und je höher die Zustimmung für Putin war, desto kleiner war auch das Wahllokal – auch diesen Umstand belegen die Daten, wenngleich Letzteres auch mit dem Stadt-Land-Gefälle erklärbar sein könnte.

Auffallend, wenngleich weniger überraschend war die extrem hohe Zustimmung zum Referendum in der Region Tschetschenien (blauer Cluster rechts oben). Auch die Tataren stimmten zu großen Anteilen pro Putin (blauer Cluster links). Eine auffällig hohe Zahl an Wahllokalen vermeldete aber eine Wahlbeteiligung von rund 65 Prozent bei circa 78 Prozent Zustimmung. Vergleichbare Auszählungen finden sich in der Region nicht.

Zunahme

Diese Anomalie der ganzen Zahlen ist übrigens kein Einzelfall des aktuellen Referendums. Viel eher lässt sich in den vergangenen Jahren ein klarer Trend hin zu diesen statistisch unwahrscheinlichen Zahlen beobachten. So wuchs die Zahl der Wahllokale mit auffällig vielen runden Prozentsummen seit Putins Machtübernahme im Jahr 2000 von wenigen Dutzend auf über 3.000 beim aktuellen Referendum. (Fabian Sommavilla, 8.7.2020)