In Österreich existieren noch zwei mehr oder weniger große Oppositionsparteien. Die eine namens FPÖ ist aktuell sehr mit sich selbst und der Aufarbeitung der Vergangenheit beschäftig. Die andere heißt SPÖ und kommt trotz guter Rahmenbedingungen nicht wirklich vom Fleck. Experten, Parteigranden, Polit-Kommentatoren und Journalisten beschäftigen sich schon seit geraumer Zeit mit den möglichen Ursachen und damit verbundenen Interaktionseffekten zwischen der einst mächtigen Sozialdemokratie und der sich verändernden Wählerschaft. So analysiert Gerald John treffend im STANDARD, dass die Parteichefin Pamela Rendi-Wagner keine großen Fehler gemacht hätte, trotzdem aber in den Umfragen keinen Aufschwung schafft. Um sich auch in die Liste der politaffinen Kommentatoren einzureihen, folgt der Versuch eines Fremdbildes.

SPÖ als unangefochtene Nummer eins

Eigentlich hätten die Sozialdemokraten die besten Karten, um mit über 40 Prozent die Kanzlerschaft zu beanspruchen. Dies gelang bereits Bruno Kreisky mit einem erfahrenen und natürlich gewachsenen Team an erstklassigen Politakteuren, wie der Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg, dem Finanzminister Hannes Androsch oder dem Justizminister Christian Broda - ein Konglomerat an substantiellen Persönlichkeiten, welches aufgrund der Lebenserfahrung und Kompetenz der Personen bis heute seinesgleichen sucht. Der Unterschied zu den meisten heutigen Politikern ist ganz einfach erklärt. Bei den oben genannten handelt es sich um Menschen mit Lebenspraxis, welche die Zeit gehabt haben, ihre Persönlichkeit und ihren Charakter reifen zu lassen. Dies findet in der heutigen Schnellsiederpolitk nicht mehr statt. Medien kreieren von heute auf morgen Stars auf dem Politparkett ähnlich jenen die in Castingshows von null auf 100 katapultiert werden, um dann wieder in ein tiefes Loch der Identitätsdiffusion zu fallen.

Ein neuer sozialdemokratischer Politikertypus

Mit Franz Vranitzky trat ein neuer Vertreter der Spezies Sozialdemokrat auf die Bühne. Ein Banker mit Nadelstreifanzug und bemüht volksnahmen Habitus. Der klassische “Hackler“ aus Favoriten war “not so amused“ und lief scharenweise zum Porschefahrer Jörg Haider aus dem Bärental über, und die SPÖ und deren Strategen in der Löwelstraße wundern sich noch bis zum heutigen Tag Wählerstromanalysen rauf und runter. Die genetischen Weiterentwicklungen des zweifellos erfahrenen aber zumindest im Wählerumgang vielleicht weniger empathiefähigen Ex-Kanzlers heißen heute Christian Kern und Pamela Rendi-Wagner - zwei Repräsentanten der Gattung SPÖ 4.0. Gut gebildet, eloquent, telegen jedoch irgendetwas scheint nicht zu stimmen. Warum nur sollte sonst ein ehemaliger ÖBB-Topmanager und Akademiker gegen einen jungen Burschen aus Wien Meidling mit gymnasial-klerikalem Hintergrund den Kanzlersessel verlieren?

Die SPÖ hat an Bodenhaftung verloren.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

“Ohne die Partei bin ich nichts“

Für diese Selbsterkenntnis ist dem oft unterschätzten Fred Sinowatz die Viktor-Adler-Plakette zu überreichen. Der bereits beschriebene Typus des SPÖlers 4.0 hat leider die Bodenhaftung verloren und konnte unter anderem Kraft des Einflusses der Partei in hohe Sphären mit dementsprechender Moralvorstellung vordringen. Dabei wären die Parameter der Zeit wie hohe Arbeitslosigkeit, menschenunwürdige Rahmenbedingungen und Überlegungen zu einem bedingungslosen Grundeinkommen so wichtig wie noch nie. Dazu braucht es allerdings Persönlichkeiten, die mit den “Menschen“ und nicht mit den Medien in einer mehr als ausreichenden Form interagieren und nicht nur im Wahlkampfbus agenturgesteuert durch die Lande ziehen. Hier geht es am Ende, wie bei uns allen, um die Qualität der Zeit, die man mit seinen Gegenübern verbringt, und vor allem um die Qualität der Kommunikation, die von Mensch zu Mensch immer noch analog und nicht digital stattfindet. (Daniel Witzeling, 13.7.2020)

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