Premier Conte präsentiert seine Pläne.

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Italiens Regierungschef Giuseppe Conte sparte nicht mit Superlativen, als er am Mittwochmorgen sein neues Paket vorlegte: "Beim neuen Dekret handelt sich um eine nie da gewesene Revolution, auf die ganz Italien stolz sein kann", betonte der Premier. Und: "Es wird das Sprungbrett sein für ein einfacheres, schnelleres Italien." Tatsächlich trägt das Maßnahmenpaket den Titel "Vereinfachungen": In seinem Visier steht die wahnwitzige Bürokratie, die das Land seit Jahren lähmt, private unternehmerische Initiative behindert und ausländische Investoren abschreckt.

Wie dringend die Zähmung des Amtsschimmels wäre, hat die Covid-Krise wieder einmal gezeigt: Wegen bürokratischer Hemmnisse warten immer noch zwei Millionen Italiener auf das Kurzarbeitsgeld.

200-Milliarden-Euro-Programm

Zur geplanten Verwaltungsreform gesellt sich ein gigantisches Investitionsprogramm im Umfang von rund 200 Milliarden Euro: Mit 130 Infrastrukturprojekten soll das Land modernisiert und – vor allem durch den massiven Ausbau des Schienenverkehrs – umweltfreundlicher gemacht werden. Bei rund 50 Großprojekten soll das "Modell Genua" zur Anwendung kommen: Zur Umgehung der Bürokratie sollen – wie beim Bau der neuen Autobahnbrücke in Genua nach dem Einsturz des Morandi-Viadukts – Sonderkommissare mit praktisch unbeschränkten Befugnissen eingesetzt werden, um die Bauvorhaben voranzutreiben. In Genua hat diese Methode ein kleines Wunder bewirkt: Am 1. August, weniger als zwei Jahre nach der Tragödie mit 43 Toten, soll die neue Brücke dem Verkehr übergeben werden.

Dem neuen Paket schlägt freilich eine Welle von Skepsis entgegen – aus dem Parlament, aber auch von Unternehmern, Gewerkschaften und Fachleuten. "Von Conte kommt nur Geplapper", kommentiert Ex-Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini, während seine rechte Gefährtin Georgia Meloni, Chefin der postfaschistischen Partei Fratelli d'Italia, von einer "Farce" spricht. Der Ökonom und ehemalige Sparkommissar der Regierung, Carlo Cottarelli, vermisst bei den unzähligen Projekten eine klare Hierarchie und vor allem Zeitpläne. Die zweitgrößte Gewerkschaft des Landes, die CISL, befürchtet deshalb, dass das Dekret "bloß ein weiteres Buch der Träume" bleiben werde – wie so viele "historische Reformprogramme" zuvor.

Bürokratie frisst Reformen

In der Tat stellt sich beim Lesen des fast 100 Seiten langen Dekrets ein gewisser Déjà-vu-Effekt ein. Den Bürokratieabbau und Reformen zur Modernisierung haben seit der ersten Regierung von Silvio Berlusconi im Jahr 1994 auch alle späteren Regierungen versprochen. Passiert ist wenig, nur allzu oft hat die Bürokratie nach den Reformen nur noch abstrusere Blüten getrieben. Das ist Grund dafür, dass Italien im laufenden Corona-Jahr mit 11,2 Prozent den größten Einbruch der Wirtschaftsleistung aller EU-Mitgliedsstaaten erleiden wird – im Durchschnitt wird die Wirtschaft innerhalb der EU laut den neuen Prognosen der EU-Kommission vom Dienstag um 8,7 Prozent schrumpfen.

Zweifel sind aber auch deshalb angebracht, weil die Regierung das mit viel Selbstlob vorgestellte Reformpaket noch gar nicht endgültig verabschiedet hat. Die Koalition aus Fünf-Sterne-Bewegung und Sozialdemokraten ist zerstritten und tut sich ungemein schwer mit ihren Beschlüssen: Während alle anderen EU-Staaten in Brüssel längst Reformprogramme vorgelegt haben, mit denen sie ihre Ansuchen um Hilfe aus dem geplanten Wiederaufbaufonds rechtfertigen wollen, lässt die entsprechende Dokumentation aus Rom auf sich warten. Die beiden Regierungspartner sind sich noch nicht einmal einig, ob sie auch Hilfe aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) entgegennehmen wollen – der absurde ideologische Streit dauert seit Monaten und untergräbt die italienische Glaubwürdigkeit in Brüssel.

Gute Vorsätze

Vom geplanten EU-Wiederaufbaufonds "Next Generation EU" im Umfang von 750 Milliarden Euro würde Italien mit Abstand am meisten profitieren: Rund 170 Milliarden Euro wären für Rom reserviert. Ohne diese Hilfen wären viele der nun vorgestellten Infrastrukturprojekte Makulatur, bevor überhaupt mit der Planung begonnen werden könnte. Das weiß auch Regierungschef Conte, und deshalb hat er mit dem geplanten Bürokratieabbau wieder einmal "die Mutter aller italienischen Reformen" vorgelegt. Aber der Weg zur Hölle ist, wie man weiß, mit guten Vorsätzen gepflastert. (Dominik Straub aus Rom, 8.7.2020)