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Angela Merkel: "Wir brauchen außerordentliche Solidarität" beim geplanten Wiederaufbaufonds.
Foto: Reuters / Yves Herman

Herausfordernder könne eine Krise, wie sie Europa als Folge der Corona-Pandemie erfasst hat, nicht sein. Da sei es nur gut, dass "der Geist für die Verantwortung für das Ganze wieder zurückgekehrt ist", sagt Ursula von der Leyen. Die EU-Kommissionspräsidentin freut sich darüber, was sie soeben gehört hat: "Was gut ist für Europa, das ist gut für uns." Sätze wie dieser seien "kein schlechter Wegbereiter" für die Aufgaben, die auf die deutsche Regierung im Zuge der gerade begonnenen EU-Ratspräsidentschaft zukämen.

Es sind große, pathetische Worte, die am Mittwoch im Plenum des Europäischen Parlaments in Brüssel die Debatte dominierten. Von der Leyens Dank galt einer anderen mächtigen deutschen Politikerin, die unmittelbar vor ihr eine so programmatische wie pragmatische Rede gehalten hatte: Kanzlerin Angela Merkel.

Neben einer Neuordnung der gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik und der Stärkung der globalen Rolle der EU in der Welt seien es vor allem drei tragende Themen, die im Zentrum aller Anstrengungen stünden: Klimawandel, Digitalisierung und natürlich: die Überwindung der Wirtschaftskrise, der Rezession, in die die Union seit März fiel. Erst tags zuvor hatte die Kommission eine aktualisierte Wirtschaftsprognose erstellt.

Schlimmer als gedacht

Es geht nicht nur für alle tiefer bergab als befürchtet. Zusätzlich droht EU und Eurozone Gefahr, weil die Kluft zwischen den wohlhabenden Nordländern und den Südstaaten immer größer wird. Für Merkel ist klar, worauf es nun ankommt: Wir müssen "einander beistehen und zusammenhalten", entsprechend der "Idee der Brüderlichkeit", wie sie in Ludwig van Beethovens Neunter Sinfonie ausgedrückt werde.

Aber die Kanzlerin ist eine politische Praktikerin, keine Träumerin. Sie sagt: "Wir brauchen außerordentliche Solidarität" beim geplanten Wiederaufbaufonds, den die Kommission in ihrem Vorschlag mit 750 Milliarden Euro angesetzt hat, zusätzlich zum regulären EU-Budgetrahmen im Volumen von 1.100 Milliarden Euro für die Jahre 2021 bis 2027. Sie ergänzt: "Wir sind bereit dazu." Mit dem "wir" meint sie Deutschland. Das wirkt. Die Abgeordneten spenden Merkel stehende Ovationen.

Den Wirklichkeitstest werden sie und ihre 26 Kollegen, die Staats- und Regierungschefs, bereits in einer Woche bestehen müssen – oder eben nicht. Für nächsten Donnerstag hat der Ständige EU-Ratspräsident Charles Michel zum EU-Gipfel geladen, dem ersten physischen seit Februar. Im zweiten Anlauf will er versuchen, einen Kompromiss bei EU-Budget und Wiederaufbau im Paket durchzubringen. Dazu wird er am Freitag einen neuen Vorschlag mit leicht veränderten Budgetansätze vorlegen in der Hoffnung, die zerstrittenen Staatenvertreter könnten sich final annähern. Nach STANDARD-Informationen dürfte er beim regulären EU-Budget Kürzungen im Vergleich zu den Kommissionsansätzen vorlegen, um die Sparsamen Vier – Österreich, Niederlande, Dänemark, Schweden – zu ködern. Deren Skepsis beim Wiederaufbaufonds, den das deutsch-französische Duo vor allem als Zuwendungen für Spanien und Italien gestalten will, soll mit höherem Kreditanteil zerstreut werden.

Neuer Eurogruppenchef

Schon diese Woche könnte im Ecofin die Entscheidung fallen, wer dem Portugiesen Mario Centeno als Chef oder Chefin der Eurogruppe nachfolgen wird. Es gibt drei Kandidaten unter den Finanzministern: die Spanierin Nadia Calvino, eine Sozialdemokratin, den irischen Christdemokraten Paschal Donohoe und den Luxemburger Pierre Gramegna, einen Liberalen. Für keinen der drei fand sich bisher eine Mehrheit unter den 19 Eurostaaten.

Die Spanierin galt bisher als Favoritin, weil Spanien vor zweieinhalb Jahren mit Luis de Guindos nur knapp am prestigeträchtigen Amt vorbeischrammte. Allerdings: Da Madrid mit Josep Borrell bereits den Hohen Beauftragten für die EU-Außenpolitik stellt, wird auch Donohoe gut gehandelt. Die Christdemokraten stellen die meisten Finanzminister. Gramegna, der erfahrenste Kandidat, könnte ein Kompromiss sein. (Thomas Mayer, 8.7.2020)