Wegen angeblicher technischer Mängel muss die Sea-Watch 3 ihre Such- und Rettungsaktion im Mittelmeer unterbrechen.

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Rom/Athen/Lesbos/Berlin – In Italien ist ein neues Tauziehen mit der deutschen Organisation Sea-Watch um die Rettung von Bootsmigranten entbrannt. Die italienische Küstenwache setzte das deutsche Rettungsschiff Sea-Watch 3 in Sizilien nach einer Sicherheitskontrolle am Mittwochabend fest. Die Kontrolleure hätten technische Mängel ausgemacht, hieß es. Sea-Watch-Sprecher Ruben Neugebauer bezeichnete das Vorgehen als "offensichtliche Schikane", er sprach von einer Verzögerungstaktik der Regierung, die nicht zur Sicherheit der Migrantinnen und Migranten beitrage.

Währenddessen kündigte der italienische Regierungschef Giuseppe Conte an, die Sicherheitspakete von Ex-Innenminister Matteo Salvini zu ändern. Diese sehen drakonische Strafen für Rettungsschiffe vor, die ohne Erlaubnis in Italien eintreffen. Zwei Sicherheitspakete waren von Salvinis rechter Lega im Parlament in den Jahren 2018 und 2019 durchgesetzt worden. Damals war die Partei noch Koalitionspartner der Fünf-Sterne-Partei, die den parteilosen Conte als Premier nominiert hat.

Salvini schäumt

"Wir haben bereits eine Einigung unter den politischen Kräften erreicht. Wir wollen dem Parlament einen neuen Gesetzentwurf vorlegen", sagte Premier Conte. Seine Regierung will die drakonischen Strafen für Rettungsschiffe stark reduzieren, die ohne Erlaubnis der Regierung in Italien eintreffen. 2019 war die Strafe auf eine Million Euro angehoben worden.

Salvinis heftig kritisierte Gesetze gegen Seenotrettung im Mittelmeer sollen nun teilweise zurückgenommen werden.
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Contes Worte lösten eine heftige Kritik Salvinis aus. "Statt dem Land mehr Sicherheit zu garantieren, baut diese Regierung unsere Gesetze ab. So schadet sie nicht Salvini, sondern allen Italienern. Die illegale Einwanderung ist ein Verbrechen", sagte Salvini. Die Rettungsaktionen von NGO-Schiffen bezeichnete er als "von Mafiosi organisierte Reisen".

Griechenland entlastet Inseln

Zugleich mit der Verschärfung in Italien wird auch die Situation der Flüchtlinge in der griechischen Ägäis wieder zum Gegenstand politischer Auseinandersetzungen. Besonders geht es dabei um die katastrophalen Bedingungen in den Flüchtlingscamps auf den griechischen Inseln. Zur Entlastung der überfüllten Lager wurden in den ersten acht Julitagen nun 784 Menschen von Lesbos aufs Festland gebracht. Bereits im Juni waren von Lesbos, Chios und Samos 2.144 Menschen zum Festland gebracht worden.

Noch immer gelten die Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln als heillos überfüllt.
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Erstmals seit mehreren Monaten harren nach Angaben des Ministeriums damit weniger als 15.000 Menschen in und um das berüchtigte Lager von Moria auf Lesbos aus. Ende März lebten dort noch knapp 19.000 Migranten. Die Zahl der Menschen, die insgesamt auf griechischen Inseln aufhältig sind, ging deutlich zurück. Am 3. März lebten dort mehr als 40.000 Migranten, zur Zeit sind es noch 32.177 Personen.

Das löse dennoch nicht das Problem der überfüllten Lager, sagen Hilfsorganisationen. Denn eigentlich sind die Camps und Unterkünfte auf den Inseln nur für rund 8.000 Menschen ausgelegt.

Migrationsforscher Knaus fordert Schließung

Aufgrund dieser Umstände wird von vielen Seiten die Evakuierung der Flüchtlingslager gefordert. Angesichts der Corona-Pandemie wiederholte der österreichische Migrationsforscher und Leiter der Europäischen Stabilitätsinitiative (ESI), Gerald Knaus, diese Forderung in einem Interview mit der "Berliner Zeitung". Die derzeitige deutsche EU-Ratspräsidentschaft müsse den "rechtswidrigen Umgang mit Flüchtlingen" an den Außengrenzen sowie in der EU selbst beenden, sagte Knaus.

"Was sich aktuell in den Lagern auf den griechischen Inseln, aber auch auf dem Meer in der Ägäis und zuvor auf dem Landweg an der türkischen Grenze abspielt, steht im Widerspruch zu EU-Recht und der Flüchtlingskonvention", fügte er hinzu. Die Lager müssten evakuiert werden.

Es sei "erschreckend zu sehen, mit welcher Brutalität Europäer ihre eigenen Gesetze im Umgang mit Asylsuchenden heute brechen", kritisierte Knaus, der als Architekt des EU-Türkei-Flüchtlingsabkommens von 2016 gilt. Dabei seien im ersten Halbjahr 2020 nur 20.000 Menschen über das gesamte Mittelmeer gekommen. (APA, 9.7.2020)