Die Schriftstellerin Helena Adler wohnt in Oberndorf bei Salzburg, träumt aber von Alices Wunderland und von einem Elfenbeinturm. Ihre reale Wohnung bezeichnet sie als nachhaltige Collage aus Sperrmüll.

"Wenn man das Haus zum ersten Mal betritt, kennt man sich überhaupt nicht aus. Es tut sich eine Tür nach der anderen auf, und mit jeder geöffneten Türe vergrößert sich das Labyrinth. Im Vorzimmer beispielsweise gibt es ein geheimes Loch im Einbauschrank, und man gelangt gebückten Hauptes ins Vorhaus meiner Schwiegereltern.

"Mit jeder geöffneten Tür vergrößert sich das Labyrinth." Autorin Helena Adler im Bad.
Foto: Anna Aicher

Hinter der Ateliertür gibt es eine zweite kleine Ateliertür, und dann steht man plötzlich in einem verwunschenen Glashaus aus Plastik. Und hinter der kleinen Tür in meinem Arbeitszimmer, die mitten in der Wand zu schweben scheint, befindet sich – keine Ahnung, warum – das Bad und mittendrin ich.

Manchmal habe ich das Gefühl, dass all diese Türen Eingänge in mein tiefstes Unterbewusstsein sind. Ich öffne eine Türe, krieche hindurch und fühle mich wie Pippi Langstrumpf oder Alice im Wunderland, die gerade in den Kaninchenbau schlüpft – nur lauert dahinter nicht das Wunderland mit Herzköniginnen und sprechenden Teekannen, sondern die Realität, in meinem Fall also die Schwiegermutter, die ihr Puppentheater für meinen Sohn vorbereitet, und der Schwiegervater, der in allen möglichen Zeitungen liest.

200 Quadratmeter Wohnfläche stehen Helena Adler und ihrer Familie zur Verfügung.
Foto: Anna Aicher

Und ich? Ich träume von einem Elfenbeinturm ganz für mich allein, wo kein Schwein anklopft, sondern wo ich enthoben von der Realität über den Wolken sitzen und an meinen Geschichten weiterspinnen kann. Ich habe mir im Kopf einige Welten zusammengeschustert. Es sind Sehnsuchtsorte mit ein bisschen Toskana und ein bisschen Provence, mit Säulen und Arkadengängen rundherum, mit Brunnen und Bassins, und von mir aus auch mit Figuren von Canova und Brücken von Calatrava. Und über allem der Duft von Zimt, Limetten und Pfingstrosen.

Aber hier unten in der Realität ist es auch okay. Wir wohnen in Oberndorf bei Salzburg, auf einem ehemaligen Gutshof, und das Haus ist schon einmal ziemlich abgebrannt vor hundert Jahren. Man erzählt sich, dass die beiden Feuerwehrmänner von Oberndorf und Laufen so lang gestritten haben sollen, wer nun zuständig ist und ausrücken muss, dass das Haus, nachdem der Streit behoben und ein Kompromiss gefunden war, bereits in Schutt und Asche lag. Stimmt natürlich nicht so, ist aber eine schöne Geschichte. Jedenfalls gibt es auf dem Grundstück seit damals einen unterirdischen Löschteich.

Helena Adler und ihre Familie umgeben sich in ihrem Zuhause, einem ehemaligen Gutshof, mit alten Stühlen sowie Tischen vom Sperrmüll.
Fotos: Anna Aicher

Wir leben in einer rund 200 Quadratmeter großen Collage aus Sperrmüll, zusammengezimmert, zusammengeschraubt und zusammengeklebt von meinem Mann Thomas, seines Zeichens Künstler, und ich liebe ihn so sehr, dass ich gar nicht anders kann, als das Meer aus ewigen Provisorien, die bei uns eine tragende Rolle spielen, einfach nur schön zu finden. Sag ich jetzt mal so.

Erst unlängst hat er in der Küche eine Mülltrennstation gebaut, die er mit einem zweiteiligen Vorhang verkleidet hat, damit man den ganzen Mist nicht sieht. Ist zwar unpraktisch, aber unser Sohn findet Gefallen an diesem Kasperltheater.

Außerdem gibt es viele Provisorien, für die Helena Adlers Mann Thomas verantwortlich ist.
Fotos: Anna Aicher

Abgesehen davon umgeben wir uns mit alten Stühlen und weggeschmissenen Tischen vom Sperrmüll. Einerseits sparen wir dadurch Kosten, andererseits aber sehen wir darin einen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft. Es gibt schon so viel Zeugs auf der Welt, da müssen wir nicht auch noch neue Möbel kaufen, die echt niemand braucht. Nahezu alles ist gebraucht, so mancher Lichtschalter ist im Schrank versteckt, anderes hält nur noch mit Gafferband und Silikon, und an manchen Ecken und Enden ist das Gebastelte so beinand, dass es schon fast in sich zusammenfällt.

Würden wir’s endlich anpacken und ordentlich renovieren wollen: Ich wüsste gar nicht, wo ich ansetzen soll. Das macht mich wahnsinnig! Also lasse ich es und bleibe doch lieber beim Träumen." (13.7.2020)