Die Homöopathie geht davon aus, dass den Kranken just jene Substanz heilt, die den Gesunden krank macht. Und zwar umso effektiver, je mehr die Substanz verdünnt ist. Die Post in Sachen Heilung ginge dann ab, sobald die Substanz, auf die man sich beruft, gar nicht mehr vorhanden ist, aber immer noch bedeutungsschwer auf dem Etikett angeführt wird. Welche Beschwerden Beton, Alligatoren oder Muttermilch hervorgerufen haben, oder welches Zipperlein diese Substanzen in der homöopathischen Schubumkehr-Logik heilen können, darüber können wir oftmals nur spekulieren. In Österreich sind die beiden Homöopathiehersteller Homeocur und Remedia ein heißer Tipp für extravagante Essenzen. Sie führen bis zu 5.500 (!) unterschiedliche Einzelmittel in ihrem Bestand. In den Katalogen dieser Unternehmen zu schmökern ist ein zeitintensives Unterfangen für verregnete Sommertage. Die Stiftung Gurutest stellt Ihnen die zehn tollsten, kreativsten und außergewöhnlichsten homöopathischen Arzneien vor.

Platz 10: Beton. Er kommt frisch aus der Mischmaschine und doch nicht zur Ruhe. Zumindest, wenn er das Pech hat, bei einem Homöopathie-Hersteller zu einem Arzneimittel verarbeitet zu werden. Die Indikationen für Globuli aus verdünntem und geschütteltem Beton finden wir leider bei keinem Hersteller, wir vermuten daher: Beton-Globuli eignen sich für alle, die wo ang'rennt sind. Wer es wirklich wissen will: Bei Homeocur gibt es Beton auf Anfrage auch als Zäpfchen. Als Nebenwirkung vermuten wir mal, ohne den Beipackzetteltext gelesen zu haben: Stuhlgang, hart wie Ziegel. 

Platz 9: Schweinefett [Adeps suis]. Globuli mit einem Hauch von "Bratlfettn". Beim Lesen des Arzneimittelbriefes läuft einem zwar das Wasser im Mund zusammen, doch wir wissen: Hier liegt in der Potenzierung der Hund begraben. Die Schweinefett-Globuli sind lediglich ein cholesterinfreies und kalorienarmes Surrogat zum würzigen Aufstrich, den wir aus dem Reindl mit dem erkalteten Braten zu löffeln und aufs Schwarzbrot zu streichen pflegen. Die olfaktorische und gustatorische Enttäuschung ist hier programmiert. Die Bratlfettn-Globuli sind eine Rosskur für Schlemmer und Genießer, die abspecken wollen.

Platz 8: Berliner Mauer [Murus berlinensis]. Das liegt auf der Hand: Die verdünnten Brösel des "antifaschistischen Schutzwalls" helfen natürlich bei Trennungsängsten. Der Homöopath und Schamane Declan Hammond hat sich das "Arzneimittelbild" der Mauer genauer angesehen und gibt auch selbstzerstörerische Tendenzen als Indikation an: "Menschen, die ihr Fahrzeug in autoaggressiver Art gegen eine Wand lenken." Leider fehlt der Hinweis, dass die Globuli jeweils VOR der Fahrt einzunehmen sind. Remedia distanziert sich übrigens von der "Berliner Mauer" als Arznei, Beton führt man aber sehr wohl im Portfolio. Da müssen wir noch ein wenig feilen an einer stringenten Produktpolitik.

Platz 7: Die Milch des Windhundes [Lac caninum e Windhund]. Die Mich von allerlei Hunden finden wir in den Bauchläden der Hersteller, vom Rauhaardackel aufwärts, über den deutschen Schäfer bis zum Windhund. Die Globuli aus der Milch des schlanken und blitzschnellen Windhundes eignen sich vermutlich für Verkehrsteilnehmer, die Geschwindigkeitsbeschränkungen krankhaft ignorieren. Vielleicht taugen die Windhundmilch-Globuli gar als homöopathische Radarwarnungen? 

Platz 6: DNA [Desoxyribonukleinacid]. Die DNA, der Baustein jedes Lebens. Bloß wessen Lebens? Von welchem Lebewesen wurde die Doppelhelix stibitzt. Von einem quirligen Gnu aus Botswana, von einem behäbigen Fleckvieh von der Blahbergalm, von einem Redneck aus Alabama oder von einem gütigen Mönch aus Bhutan? Bei einer derart vagen Produktbeschreibung kann man nur warnen: Die DNA-Globuli, Tropfen oder Zäpfchen eignen sich keinesfalls für Menschen mit Identitätskonflikten.

Kreativ sind sie, die Globuli-Hersteller.
Foto: REUTERS/Eric Gaillard

Platz 5: Alligator [Alligator mississippiensis]. Wie macht das die Raubtierabteilung von Remedia bloß? Das räuberische Reptil von den Ufern des Mississippi gilt als gefährdete Art, und trotzdem schnappt man sich einen Alligator aus der Mississippi-Au, bringt ihn nach Österreich und lagert ihn im Burgenland (in einer Tieflkühtruhe?), um das Tier bei Bedarf zu Medizin zu zermanschen? Wie dem auch sein, als Indikation vermuten wir übergroßes Verlangen nach Krokodillederhandtaschen bei Frauen, bei Männern die Neigung zur Wilderei - oder umgekehrt.

Platz 4: Fensterglas. Die Globuli sind ab der Potenz C5 erhältlich und sind - lange Rede, kurzer Sinn - vermutlich bei der Neigung zu intransparentem Verhalten indiziert. Wer weiß, vielleicht hätte die Gabe von Fensterglas-Globuli ein wenig Licht ins Dunkel bei manchem Auftritt im parlamentarischen Ibiza-Untersuchungsausschuss gebracht?

Platz 3: Topfen [Lac vaccinium coagulatum]. "Red doch keinen Topfen", ist man fast versucht zu sagen und wir nehmen damit die vermutliche Indikation vorweg. Das Milchprodukt ist ab einer Verdünnung von C12 erhältlich und selbstverständlich, wie der Hersteller betont: lactosefrei.

Platz 2: Bier [Cervisia]. Leider bleibt der Hersteller die Marke schuldig und so besteht die Gefahr, Globuli aus dem Gebräu eines niederländischen Einheitsbierkonzerns verabreicht zu bekommen. Wir haben übrigens nachgerechnet: Eine Flasche Bier (0,5 Liter) wird durch behände Verdünnung zur Potenz C30 in einer Menge verdünnt, die dem 5.000-fachen Volumen des Atlantiks entspricht. Andersrum gesagt: Da geht sich auch bei der Einnahme einer gewaltigen Überdosis kein Damenspitz aus. Wir sagen trotzdem Prost und reißen uns zur Sicherheit ein 16er-Blech in der Potenzierung C-Null auf. Denn beim Bier geht nichts über die Urtinktur. 

Platz 1: Milch von fünf verschiedenen Müttern [Lac maternum]. Wir wissen nicht, wie die fünf Mütter heißen und wer sie sind, wie sie ausgewählt wurden und was sie heute machen und wie sie zur Spende ihrer Muttermilch überredet wurden. Was wir jedenfalls wissen: Irgendwo in einem Kühlraum in Retz lagert das Cuvée der "Muttermilch von 5 verschiedenen Müttern" und wartet darauf, verschüttelt und verdünnt zu werden, um danach auf Zuckerkugeln aufgetragen zu werden, die wir uns letztlich auf der Zunge zergehen lassen. Die Option, die fünffache Muttermilch-Essenz als Zapferl zu bestellen, auf die verzichten wir aus ästhetischen Gründen. Als Indikation vermuten wir: Einen unerfüllten Fetisch, das eine oder andere Trauma des vorzeitig abgestillten Kinds und vermutlich übergroße Fantasie in den Produktentwicklungs-Abteilungen von Spaßzucker-Manufakturen. Das ist kein neues, aber ein offensichtlich hartnäckiges Leiden. (Christian Kreil, 16.7.2020)

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