Nachdem der Skandal um das Bilanzloch aufgeflogen ist, wurde Marsalek fristlos entlassen.

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Wien – In seiner Zeit als Vizeparteichef und Klubobmann hat sich der damalige FPÖ-Politiker Johann Gudenus regelmäßig mit dem Verfassungsschutz beschäftigt. Das zeigten Chatprotokolle, über die STANDARD und Profil vor ungefähr einem Monat berichtet hatten. Als Quelle nannte Gudenus’ Chatpartner wiederholt "Jan aus dem BVT" – ein Verfassungsschützer mit diesem Vornamen existiert allerdings nicht.

Nun hat "Die Presse" das Rätsel gelöst: Offenbar handelt es sich dabei um den flüchtigen Wirecard-Finanzchef Jan Marsalek. Dieser lieferte immer wieder brisante, teils von Beteiligten bestrittene Informationen aus Verfassungsschutz und Innenministerium an Gudenus. Was war die Gegenleistung? Gudenus wird in der Presse damit zitiert, dass Marsalek in einer Causa um einen Termin mit OMV-Chef Rainer Seele gebeten hatte. Das sei aber nie zustande gekommen.

Und warum war Marsalek offenbar so gut über die Vorgänge im Verfassungsschutz informiert? Dem Vernehmen nach halfen BVT-Mitarbeiter dem Unternehmen in dessen Anfangszeit, Pornoanbieter auf ihre Zahlungsfähigkeit zu prüfen. Das sei offenbar nebenberuflich erfolgt.

Außerdem eilten Verfassungsschützer angeblich bei einem "Problem in Dubai" zu Hilfe. Dort schuldete ein Notar Wirecard rund 150 Millionen Dollar, Marsalek sei für die Lösung dieses Problems zuständig gewesen.

Gerüchte und Interna

"Jan" erzählt Florian S., einem einstigen Vertrauten des ehemaligen Innenministers Ernst Strasser (ÖVP), von geheimen außenpolitischen Positionen einzelner Staaten, von Gerüchten über den damaligen BVT-Chef Peter Gridling und Interna aus anderen Parteien. Diese leitet S. an Gudenus weiter, dem die Identität von "Jan" bekannt ist – so richtet er diesem via S. "schöne Grüße" aus.

Außerdem will "Jan" einen Termin mit Reinhard Teufel, dem Kabinettschef des damaligen Innenministers Herbert Kickl (FPÖ), anleiern, um die Neuaufstellung des BVT – Codename "Projekt Pyramide" – zu planen. Gudenus hatte Teufel vor der BVT-Razzia die Nummer jenes Polizisten und FPÖ-Gemeinderats weitergeleitet, der später die Hausdurchsuchung polizeilich geleitet hat. All das untersucht nun die Staatsanwaltschaft Wien.

Hofer: Kenne Marsalek nicht

FPÖ-Chef Hofer erklärte dazu in der "ZiB2", dass er Marsalek nicht kenne. Und ein Mitarbeiter Kickls habe ihm versichert, dass es auch im damaligen Innenministerium keinen Kontakt mit dem Mann gegeben habe. Kickl selbst habe er vorerst nicht erreicht, erläuterte Hofer.

Die SPÖ-Abgeordnete Ruth Becher sagte, damit "richtet sich das Scheinwerferlicht in dem Milliardenskandal auf die FPÖ". Ihrer Ansicht nach erhöhen die Erkenntnisse aber auch den Druck auf Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), sich zu erklären. Sie erinnerte daran, dass sie bereits vor zwei Wochen eine parlamentarische Anfrage an Kurz gerichtet habe. Becher sprach von einem Naheverhältnis zwischen Kurz und dem Wirecrad-Chef Markus Braun, der sich in Deutschland verantworten muss, und von einer Spende Brauns von 70.000 Euro an die ÖVP.

Marsalek wird die Staatsanwaltschaft dazu nur schwer befragen können: Der Wirecard-Finanzchef ist nach dem Schock rund um fehlende 1,9 Milliarden Dollar in der Firmenbilanz auf den Philippinen untergetaucht. Dem Vernehmen nach prahlte Marsalek immer wieder mit internationalen Geheimdienstkontakten. Laut Süddeutscher Zeitung soll er "Feinddiagramme" über Konkurrenten erstellt haben und wilde Partys gefeiert haben. Ermittler vermuten, dass er in die eigene Tasche gewirtschaftet hat und dadurch über einen dreistelligen Millionenbetrag verfügt. Er wird per internationalen Haftbefehl gesucht, etwa wegen Bilanzfälschung und Untreue. Genau wie der auf Kaution freigelassene Braun ist Marsalek Österreicher. (fsc, gra, APA, 9.7.2020)