Der türkische Geheimdienst wird Nehammer noch kennenlernen. Warum soll es dem besser gehen als österreichischen Verdächtigen, an denen Nehammer seine Polizisten demnächst Infektionsketten perlustrieren lässt? Wer von beiden sich mehr vor der Aufklärungswut des Innenministers fürchten muss, wird nicht lange Geheimnis bleiben. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die türkischen Agenten in Favoriten entlarvt sind und reumütig gestehen, warum sie ihr graues Wolfsrudel aufheulen ließen, als der Bundeskanzler die dringende Notwendigkeit verspürte, dem Lorbeer eines nationalen Retters aus Coronagefahr einen Kranz als Bewahrer Wiens vor Türkennot hinzuzufügen. Das war auch Zeit. Seit sich die Erkenntnis durchsetzt, dass wir allen Maßnahmen zum Trotz mit Covid-19 noch länger leben müssen, erscheinen die Kanzlerprozessionen vor TV-Kameras nur noch als Folklore, wie sie der ORF auch sonst so reich im Programm hat: Sei’ liabste Weis’, solange es etwas bringt.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP).
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Und einer muss sich ja um Wien kümmern, wenn nicht länger zu verbergen ist, dass sein Spitzenkandidat für den Job als Bürgermeister der Bundeshauptstadt so viel an Qualifikation mitbringt wie für den eines Finanzministers. Also nein – vielleicht doch etwas mehr. In einer Regierung Kurz ist das ja egal. Was man in den letzten Monaten geboten bekam, blieb hinter der Corona-Wolke lange verborgen, aber auf Dauer lässt es sich nicht vernebeln: Unter Kurz türkise Ministerin, türkiser Minister zu sein ist vor allem eine Beschäftigungstherapie für ergebene Gefolgsleute, die brav aufspringen, wenn sie von Kontrolloren des Chefs vor den Vorhang gerufen werden.

Frühwarnsystem

Jahrelang nichts, plötzlich soll – wirklich? – ein Frühwarnsystem entwickelt werden, Gesprächsrunden werden angesagt und abgesagt, der politische Islam wird vom Innenminister zu "Gift" erklärt und die Integrationsministerin – ehrlich, das gibt’s – will der Parallelgesellschaft Favoritens zu Leibe rücken. Nach der Wahl in Wien darf diese wieder türkiser Vergessenheit anheimfallen.

Die Verteidigungsministerin hat wenigstens Ideen, und zwar jeden Tag neue. Bei ihr fragt sich nur, wie ihre ins Leere schießende Angriffslust mit der Verpflichtung zu einer bewaffneten Verteidigung der österreichischen Neutralität vereinbar ist. Da muss man die Konsequenz loben, mit der der Bildungsminister nach Schuldigen für die wieder einmal verpfuschte Mathematik-Matura sucht. Diesmal hat er sie in den Item-Writern gefunden, die Österreichs Zentralmaturanten mit ihren Aufgaben belästigen. Ein Austausch der Übeltäter könnte zu mehr bewältigbaren Beispielen führen. Aber der letzte Mut, Mathematik zum Freigegenstand zu erheben, fehlt.

Was angesichts einer drohenden Rezession auch fehlt, sind Vorstellungen, wie es über Geldverteilung hinaus mit der Wirtschaft weitergehen soll. Ein Plan ist nicht erkennbar. Keine Zeit für Details, wenn man sich auch noch mit respektlosen Abgeordneten zur Vergangenheit herumschlagen muss. Der Demenz-Cluster um Kanzler und Finanzminister blieb nicht ohne Eindruck auf die Parlamentarier, und das bis ins Körperliche, wie Stephanie Krisper an sich diagnostizierte. Vor einer pandemischen Ausbreitung dieser Reaktion im Volk kann man nur warnen. Da hilft die schönste Maske nichts mehr. (Günter Traxler, 9.7.2020)