Warum es die einen trifft und die anderen nicht, können Mediziner derzeit nicht sagen. Vermutlich liegt es an der genetischen Veranlagung.

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Das Bild von Covid-19 wird immer komplexer. Bislang ging man davon aus, dass zumindest milde Infektionen meist nach rund zwei Wochen überstanden sind. Doch nicht nur bei Patienten mit schwerer Covid-19-Erkrankung, sondern auch bei ursprünglich leichten Fällen kann sich die Erkrankung unter Umständen lange hinziehen. In beiden Fällen können Patienten noch nach Wochen oder sogar Monaten unter Atemnot bei Anstrengung und rascher Erschöpfung leiden. Bei manchen halten auch die typischen Geruchs- und Geschmacksstörungen wochenlang an. Doch was sind die Gründe dafür?

"Die bisherigen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass Patienten mit einem sehr langwierigen Verlauf eine Überreaktion des Immunsystems zeigen", sagt Ivan Tancevski von der pneumologischen Ambulanz der Universitätsklinik Innsbruck. Die Viren selbst sorgen für eine Lungenentzündung. Der Körper ist normalerweise so programmiert, dass die Lungenentzündung nach einiger Zeit abklingt und dabei Entzündungszellen geschädigtes Lungengewebe aufräumen. "Schafft es nun der Körper aber nicht, eine gezielte Immunantwort gegen die eintretenden Viren einzuleiten, und werden durch Sars-CoV-2 lungenschützende Eiweiße verbraucht, dann kommt es zu einer überschießenden Immunreaktion."

Verlängerte Entzündungsreaktion

In weiterer Folge kommen dann im Rahmen des entstandenen exzessiven Lungenschadens Mechanismen des angeborenen Immunsystems ins Spiel. Dieses System hat die Aufgabe, fremde Moleküle wie etwa Bestandteile von Bakterien zu erkennen und darauf zu reagieren. Das angeborene Immunsystem erkennt jedoch auch körpereigene Gewebebestandteile von zerstörten Lungenzellen und sorgt dafür, dass diese entsorgt werden.

Und das könne bei Covid-19 Folgen haben, so Tancevski. "Kommt es durch die exzessive Zellzerstörung zu einer anhaltenden Aktivierung des angeborenen Immunsystems, kann es sein, dass eine Entzündungsreaktion verlängert abläuft und die Aufräumarbeiten des zerstörten Gewebes kaum ein Ende nehmen." Das erkläre zumindest ansatzweise sehr langwierige Verläufe.

Genetische Ursache

Die Überaktivierung des Immunsystems führt zu weiteren Schädigungen des Lungengewebes. Dies hat wiederum eine Verschlechterung der Sauerstoffsättigung zur Folge und resultiert letztlich in einer Abnahme der Herzleistung. "Somit kann es auch bei sehr fitten und sportlichen Menschen ohne Vorerkrankungen zu einem langwierigen Verlauf kommen", so Tancevski.

Warum es die einen trifft und die anderen nicht, können Mediziner derzeit noch nicht sagen. Es habe jedoch sicherlich mit einer genetischen Veranlagung zu tun. Möglich sei, dass bei manchen Menschen gewisse Notschalter des angeborenen Immunsystems defekt oder gar nicht vorhanden sind und es so zu einer überschießenden Immunreaktion kommt. Darüber hinaus spielen jedoch weitere Faktoren wie Übergewicht, Bluthochdruck, Diabetes, kardiovaskuläre Vorerkrankungen und chronische Lungenerkrankungen eine wichtige Rolle. "Die gute Nachricht hierbei ist, dass diese Faktoren im Gegensatz zu einer genetischen Komponente größtenteils durch Ernährung, Bewegung und Verhalten beeinflussbar sind", erklärt Tancevski.

Schwaches Immunsystem

Es gibt allerdings eine zweite Gruppe Patienten, bei denen die Immunreaktion nicht zu stark, sondern zu schwach ausfällt. Etwa weil sie sich einer das Immunsystem unterdrückenden Therapie wie einer Chemotherapie unterziehen oder weil sie im Rahmen von anderen, etwa hämatologischen Erkrankungen eine eingeschränkte Immunantwort haben. "Diese Patienten schaffen es nicht, das Virus in Schach zu halten", sagt Michael Joannidis, Leiter der Internistischen Intensiv- und Notfallmedizin der Universitätsklinik für Innere Medizin Innsbruck. "Die Infektion mit Sars-CoV-2 schwelt dann vor sich hin, und das Virus vermehrt sich weiter. Diese Patienten haben auch einen langen Krankheitsverlauf."

Und schließlich gibt es noch eine dritte Gruppe von Patienten: "Menschen, bei denen sich der ganze Körper darauf konzentriert, mit dem Virus fertigzuwerden", erklärt Joannidis. Gleichzeitig werde er anfälliger für andere Erreger wie Bakterien oder Schimmelpilze. "Solche schweren Infektionen mit Bakterien oder Schimmelpilzen können zu weiteren Entzündungen in der Lunge führen oder sogar auf den ganzen Körper übergreifen." Der Patient entwickle im letzteren Fall eine Blutvergiftung, eine Sepsis. "Das bedeutet sehr langwierige Verläufe."

Kortison könnte helfen

Immerhin zeichnen sich am Horizont Therapieoptionen ab. Eine überschießende Immunreaktion könnte laut Tancevski möglicherweise durch eine gut getimte Kortisongabe eingedämmt werden. Tatsächlich legt genau das eine Studie von Forschern um Peter Horby von der University of Oxford nahe. Das Ergebnis: Eine frühzeitige Kortisontherapie milderte die überschießende Immunreaktion bei schwerkranken Covid-19-Patienten und führte letztlich zu einer Verringerung der Todesfälle. Bislang handelt es sich aber nur um Zwischenergebnisse, und die Studie ist noch nicht begutachtet.

"Eine weitere potenziell denkbare Therapieoption stellt die Gruppe der Makrolidantibiotika dar", so Ivan Tancevski. Aufgrund ihrer entzündungshemmenden Wirkung werden sie sehr häufig in der Lungenheilkunde angewendet. Sie dürfen jedoch aufgrund ihrer möglichen Nebenwirkungen auf das Herz nur bei gut ausgewählten Patienten zum Einsatz kommen.

Therapie mit Antikörpern

Gegen eine Immunschwäche hingegen könne man leider wenig machen, so Michael Joannidis. Eine Möglichkeit sei, diesen Patienten Antikörper von anderen Patienten zu geben, die die Erkrankung bereits durchgemacht haben. Zu einer Wirksamkeit gebe es aber bislang keine großen Studien. Zuletzt müsse man sich aber therapeutisch auf die anderen Infektionen konzentrieren, die das ganz mit dem Coronavirus beschäftigte Immunsystem zulässt. Gegen bakterielle Erreger kann man mit Antibiotika vorgehen, gegen die Schimmelpilze mit Pilzmitteln. "Man versucht auf diesem Weg die sekundären Infektionen so weit in Schach zu halten, bis das Immunsystem mit dem Coronavirus fertig wird", sagt Michael Joannidis.

Ivan Tancevski kann immerhin mit einer beruhigenden Beobachtung aufwarten: "Auch wenn wir in der Nachsorge von Covid-19-Patienten immer wieder langwierige Verläufe beobachten: Wir gehen basierend auf unseren bisherigen Beobachtungen derzeit davon aus, dass die meisten Symptome im Verlauf ohne bleibende Schäden wieder abklingen werden." (Christian Wolf, 11.7.2020)