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Sergej Furgal, auf dem Weg zur Arbeit festgenommen
Foto: Investigative Committee of Russia/Handout via REUTERS

Zum Verhör statt ins Büro: Ein Sondereinsatzkommando hat am Donnerstagmorgen den Gouverneur der russischen Fernostregion, Sergej Furgal, auf dem Weg zur Arbeit festgenommen. Die Handschellen klickten, als Furgal vor dem Haus in seinen Dienstwagen steigen wollte. Inzwischen wurde der 50-Jährige bereits ins über 6000 Kilometer entfernte Moskau überführt. Am Freitag teilte ein Sprecher des Bezirksgerichts mit, dass Furgal bis zu Prozessbeginn in zwei Monaten in Untersuchungshaft bleiben müsse.

Die Anschuldigungen gegen Furgal sind gravierend: Er soll den Mord an mehreren seiner Konkurrenten in Auftrag gegeben haben. Die Rede ist von mindestens drei Mordanschlägen. Die Vorwürfe beziehen sich auf den Zeitraum 2004/2005, als Furgal selbst noch Unternehmer war. Die Staatsanwaltschaft, die ihm zudem organisierte Kriminalität vorwirft, schließt aber nicht aus, dass weitere Fälle hinzukommen. Der 50-Jährige Furgal weise "kategorisch jede Mitschuld" zurück, sagte sein Anwalt vor dem Gerichtsgebäude zu Journalisten.

Erstmals muss sich ein so hoher Staatsbeamter wegen Mordes verantworten. Vier Gouverneure, die bisher während der inzwischen 20-jährigen Regentschaft Wladimir Putins Amt und Freiheit verloren haben, wurden wegen Korruption angeklagt.

Gouverneur ohne Kremlsegen

Zusätzliche Brisanz erhält das Verfahren durch seine politische Komponente: Furgal ist seit 2005 für die nationalistische LDPR unter Populistenführer Wladimir Schirinowski aktiv. 2018 siegte er überraschend in der Stichwahl gegen den Kremlkandidaten und Amtsinhaber Wjatscheslaw Sport. Es war eine der für den Kreml damals empfindlichen Wahlpleiten nach der unpopulären Rentenreform in Russland. Schlimmer noch: Im vergangenen Jahr verlor auch noch die Kremlpartei Einiges Russland ihre Mehrheit im Regionalparlament von Chabarowsk, woraufhin Parteivertreter dem Gouverneur die Nutzung administrativer Ressourcen, fehlende Kompromissbereitschaft und politische Voraussicht vorwarfen. Kurz danach begannen die Ermittlungen gegen das Umfeld Furgals.

Zwar gilt die LDPR allgemein als handzahme Opposition. In dem Fall aber weigerte sie sich, Furgal in vorauseilendem Gehorsam aus der Partei auszuschließen. Schirinowski war nach der Festnahme seines Parteikollegen außer sich. Erst habe der Kreml mithilfe der LDPR die neue Verfassung durchgebracht und nun werde "wie unter Stalin gehandelt", klagte er. Er drohte mit dem Auszug seiner Fraktion aus der Duma und sogar mit "Revolution. Nicht so eine, wie sie die Bolschewiki vergeigt haben, oder Jelzin." Wenn es irgendwelche Vorwürfe gebe, wieso haben die Behörden so lange mit den Ermittlungen gezögert, fragte er.

Offene Worte

Eine indirekte Antwort auf diese Frage gab der als kremlnah geltende Politologe Sergej Markow, der die Festnahme erstaunlich offen als "demonstrativen Schlag gegen alle, die bei den nächsten Wahlen den Kandidaten der Regierungspartei herausfordern wollen", kommentierte.

Markows Intention war offenbar, Vertreter anderer Parteien in Russlands Regionen grundsätzlich mit der organisierten Kriminalität in Verbindung zu bringen, während er Einiges Russland für die Nominierung von "geprüften Technokraten" lobte. Doch gleichzeitig offenbarte er auch das Denkverständnis im Kreml: Dem Modell der Gouverneursernennungen durch den Präsidenten folge nun "ein neues Modell – Wahlen, aber mit der Möglichkeit der Verhaftung des Siegers nach der Wahl", sagte Markow. (André Ballin aus Moskau, 10.7.2020