Allein durch die Tiroler Natur wandern oder ab auf die Skipiste und rein in die Massen?

Tirol Werbung/Sebastian Schels

Lahnenberg ist jener Ort in Felix Mitterers Fernsehsatire "Piefke-Saga", der Anfang der Neunziger für Aufregung sorgte. An ihm zeigt sich in Extremen, wie sich Tirols Tourismus entwickelt hat: von der Trachtenidylle zur choreografierten Massenabfertigung mit mechanischen Kühen auf den Almen. Drehort des ersten Teils: Mayrhofen. Die Gemeinde im hinteren Zillertal ist ein Beispiel für viele Tourismusorte in Tirol. Hierher kommen Touristen zum Wandern mit der Familie und Klettern im Naturpark oder zum Skifahren und Après-Ski. Und am Ende der Wintersaison feiern jährlich 6.000 Briten beim Snowbombing-Festival.

Zuletzt machte der Tiroler Massentourismus international Schlagzeilen: Über 6.000 Personen hatten sich laut dem Verbraucherschutzverein dort angesteckt. Die meisten von ihnen in Ischgl, wo Après-Ski-Bars zur Virenschleuder wurden. Deswegen untersucht eine Kommission nun das Tiroler Krisenmanagement, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Den politisch Verantwortlichen wird vorgeworfen, zu spät reagiert zu haben – aus Rücksicht auf den Tourismus.

Viele Jobs Opfer von Corona

Der Tourismus spielt in Tirol eine bedeutende Rolle. Fast 50 Millionen Nächtigungen gab es im Vorjahr. 2018 arbeiteten laut Wirtschaftskammer Tirol 55.168 Beschäftigte in der Branche, die 8,4 Milliarden Euro umgesetzt hat. Der Sektor ist geprägt von Familienbetrieben, aber auch Saisonkräften. Laut Arbeiterkammer Tirol, sind die Löhne im Tourismus fast halb so hoch wie der Tiroler Durchschnitt. Und wegen Corona wurden viele Beschäftigte entlassen.

Laut Arbeitsmarktservice war die Arbeitslosigkeit im Tiroler Tourismus im Juni doppelt so hoch wie im Vorjahr. Die Krise hat vor allem diese Branche getroffen, zu der auch Gastronomie, Kultur und Unterhaltung zählen. Immerhin steigen seit den Lockerungen und Grenzöffnungen die Buchungen wieder in Mayrhofen, weiß Andreas Lackner, Geschäftsführer des dortigen Tourismusverbands. "Aktuell haben wir eine Auslastung von 58 Prozent. Das sind acht bis zehn Prozent weniger als im Vorjahr." Auch wenn Sommerurlaub gebucht werde, sei mit einem deutlichen Umsatzrückgang zu rechnen, sagt Hubert Siller, Tourismusforscher am Management Center Innsbruck. Ähnlich sieht das Mike Peters, Leiter des Forschungszentrums Tourismus und Freizeit an der Uni Innsbruck: Er rechnet damit, dass ein Fünftel der Tourismusbetriebe wegbrechen wird – besonders in jenen Regionen, die stark von internationalen Gästen abhängen.

Wie kann es künftig also weitergehen? Mehr Wertschöpfung und Qualität, betonte die Landesregierung kürzlich und gab bis Herbst ein Konzept in Auftrag. Auch Willi Seifert, Geschäftsführer des Naturparks Zillertaler Alpen in Ginzling in Mayrhofen, hat eine Antwort: "Weg von Masse, Konzentration und globalen Abhängigkeiten." Seit 15 Jahren ist er für Naturschutz, Forschung, Regionalentwicklung und touristische Aufgaben im Park zuständig und bietet Ausflüge für Schulklassen an. "Spätestens jetzt sollte man die Nachhaltigkeit angehen und sich vom Quantitätsgedanken verabschieden", sagt Seifert. Auch für Experte Peters führt kein Weg an Nachhaltigkeit vorbei.

Vom Snowbombing zum Aktivurlaub

In Mayrhofen setze man darauf seit Jahren, sagt Andreas Lackner. Die regionale Kreislaufwirtschaft im Zillertal sei historisch gewachsen. Seit 25 Jahren bewerbe man mit dem Naturpark den wachsenden Sommertourismus. 40 Prozent der Nächtigungen macht er in Mayrhofen aus, heuer soll die Saison bis November verlängert werden. Bereits vor Corona arbeitete man daran, das Snowbombing zum "Aktivurlaub am Berg mit Entertainment" zu machen, sagt Lackner.

Wichtig sei in puncto Besucherlenkung auch die Digitalisierung. Seit zwei Jahren arbeitet Mayrhofens Tourismusverband an einer personalisierten Reiseführer-App fürs Zillertal. Darin kann man nicht nur Unterkünfte buchen, sondern etwa auch Aktivitäten. So wisse man, was wem gefällt, und könne individuelle Angebote bei Regenwetter vorschlagen, auf dass "nicht alle am selben Tag in die Swarowski-Kristallwelten fahren". Auch die Mobilität ließe sich so besser steuern, Staus umgehen. "Künftig wollen wir die Daten für Buchungsprognosen nutzen, um geplanter und nachhaltiger zu wirtschaften", sagt Lackner. Das brauche ebenso Weiterbildung in Sachen Digitalisierung.

Nachhaltiges Wirtschaften heißt für Naturparkleiter Seifert auch, dass die Arbeitsbedingungen langfristig attraktiv sind und die Bezahlung passt. "Nachhaltigkeit zielt auf Ganzjahressaisonen und kann langfristige Anstellungen für Mitarbeiter bieten", sagt Peters. So würden auch die Mitarbeiterbindung und die Attraktivität für Betriebsnachfolgen steigen.

Wandel braucht Zeit

Für Seifert und Lackner können Masse und Klasse – wie im Zillertal – nebeneinander bestehen. "Die Skigebiete haben ihre Berechtigung, aber es braucht nicht mehr Seilbahnen und Erschließungen", sagt Seifert. Wichtiger sei, in die Qualität der bestehenden Gebiete zu investieren, etwa Lifte zu tauschen. Dabei sollte man Kapazitätsgrenzen akzeptieren, dass also nicht alle Gäste gleichzeitig an einem Ort in der Natur sein können. Einen breiten Sinneswandel hätten die vergangenen Monate nicht gebracht. Das brauche Zeit, sagt Seifert: "Das Zillertal wird nicht sofort und langfristig nur vom sanften Tourismus leben können." Experte Peters glaubt, auf lange Sicht werde sich dieser vor allem im Inlandsurlaub etablieren.

Ist man in Mayrhofen traurig, dass die nächste "Piefke-Saga"-Staffel woanders gedreht wird? "In gewisser Weise ja, aber wir hatten ja vier Folgen", sagt Lackner. Er habe bereits "präventiv ein Lahnenberg-Logo" gemacht. (Selina Thaler, 14.7.2020)